zum Hauptinhalt

Politik: Alle Macht den Direktoren?

Österreich zeigt Verständnis für das deutsche Defizit – aber viele andere EU-Partner fürchten das Duo Paris-Berlin

Von Robert von Rimscha, Berlin, Thomas Roser, Warschau, und

Mariele Schulze Berndt, Brüssel

Die beiden Defizitsünder Deutschland und Frankreich bleiben von Sanktionen vorerst verschont. Was auf den ersten Blick wie eine wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidung aussieht, hat vor allem auch politische Konsequenzen. Denn die Entscheidung der EU-Finanzminister vom Dienstag lässt auch die Verhandlungen über eine neue Verfassung für die Europäische Union in schwereres Fahrwasser geraten. In Brüssel hat die gemeinsame Machtdemonstration der „Big Two“, der beiden Großen, der Angst vor einem deutsch-französischen „Direktorium“ in der Europäischen Union neue Nahrung gegeben.

Paris und Berlin hätten andere Mitgliedstaaten „eingeschüchtert“, hatte der niederländische Finanzminister Zalm nach den Verhandlungen über die Defizitverfahren geklagt. Offenbar ist das Gefühl, die Atmosphäre sei „vergiftet“, in der EU-Hauptstadt weit verbreitet. Bittere Kommentare sind allenthalben zu hören. Die Länder, die nicht zur Euro-Zone gehören, haben größte Schwierigkeiten, ihre Euro-Kampagnen innenpolitisch zu verteidigen. Die harte Linie der beiden Großen habe die Übrigen brutal daran erinnert, dass sie letztlich nur ihren eigenen Weg gehen würden, bemerkt man in Brüssel. Warum sollten Spanien, Österreich und die Niederlande sich an die Regeln halten, wenn Paris und Berlin sie sich nach Bedarf zurechtbögen?

In Großbritannien wird das „Chaos“ in der Eurogruppe mit distanzierter Sympathie betrachtet. Auch ohne eine neue Verfassung gehe das Leben weiter, hatte der britische Außenminister Jack Straw in einem Interview gesagt – und wurde umgehend von seinem Premierminister gerügt.

Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel benutzte indes eine Visite beim Amtskollegen Gerhard Schröder am Donnerstag, um eine zweiteilige Botschaft unters EU-Volk zu bringen. Einerseits habe es ihn „sehr betroffen gemacht“, dass nun der Eindruck entstehe, der Stabilitätspakt sei tot. Dies sei ein „ganz schlechtes Symbol“ für Europas Zukunft. Andererseits sei das deutsche Defizit ein „nationales Thema“, für das man ebenso Verständnis haben müsse, wie Wien es umgekehrt für seine Probleme mit dem Alpen-Verkehr fordere. Einig waren sich beide Kanzler in ihrer Ablehnung der Erwägungen von EU-Kommissar Pedro Solbes, eventuell gegen Berlin zu klagen. „Eine juristische Auseinandersetzung bringt gar nichts“, meinte Schröder in undiplomatischer Klarheit. Schüssel setzte noch eins drauf. „Klagen vergiften das Klima“, wetterte er. Schüssel rief dazu auf, nun „die Fronten nicht unbeweglich zu lassen“. Vom Rat oder von der Präsidentschaft erwarte er Vorschläge für eine „Verbesserung“: Ein „neuer“ Stabilitätspakt zum Werterhalt des Euro müsse „Elemente einbringen, die vielleicht noch fehlen“. Schon beim Brüsseler EU-Gipfel in zwei Wochen könne der Weg gewiesen werden.

Weniger versöhnliche Töne kommen dagegen aus Polen: Während Deutschland in Warschau einst als „Anwalt“ für die künftige EU-Mitgliedschaft des Landes geschätzt wurde, beschwört heute selbst Polens sozialdemokratische Minderheitsregierung das Schreckensbild einer deutsch-französischen Hegemonie herauf. Mit der Gefahr, dass die großen Mitgliedstaaten Entscheidungen gegen den Willen der kleineren „erzwingen“ könnten, begründet Premier Leszek Miller das hartnäckige Festhalten am Vertrag von Nizza. Dieser sichert Polen im Ministerrat fast dasselbe Stimmengewicht wie dem wesentlich größeren Deutschland zu.

In der medial aufgebauschten Furcht, bei einer Veränderung des Stimmengewichts von den großen Gründerstaaten der EU dominiert zu werden, fühlen sich Polens Kommentatoren durch den Eklat um die Defizitsünder bestätigt. Dass Paris und Berlin trotz ihrer Verstöße ungeschoren davongekommen sind, sieht die Zeitung „Rzeszpospolita" als Bestätigung ihrer Sorge: „Polen sollte nun noch entschlossener um die Beibehaltung von Nizza kämpfen.“ Auch die Warnung von Erweiterungskommissar Günter Verheugen an Polen, nicht von Anfang an die Rolle des Außenseiters zu spielen, verfängt in Warschau nicht. Denn mit der harten Haltung kann die angeschlagene Regierung innenpolitisch punkten. „Wir sind nicht allein," versichert Miller. Polens Hartnäckigkeit in der Verfassungsdebatte verschaffe dem Land bei immer mehr „ähnlich denkenden" Staaten „Wertschätzung und Respekt".

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false