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Politik: Alphatiere und Demokratie

Von Antje Vollmer

Der Wahltermin lag zu früh. Deutschland hat gewählt, aber keine klare Entscheidung gefällt. Die Demoskopen hatten dafür keinen Messstab, und auch die Medien konnten ihre Favoriten dem Volk nicht aufschwatzen. Diese störrische Emanzipation des Wahlbürgers von seinen Verwaltern ist begrüßenswert. Angela Merkel ist wohl für den in Aussicht gestellten Abschied vom sozialchristlichen Kern der CDU, für den Versuch ihrer FDP-isierung bestraft worden – innerparteilich auch als Frau, der es zudem an Großzügigkeit gegenüber unterlegenen Kontrahenten mangele. Die Ära von Rot-Grün ist vorbei – Joschka Fischer hat dem in beeindruckend respektabler Weise Rechnung getragen. Der Kanzler persönlich hatte das Verfallsdatum festgesetzt. Die SPD ist nicht die stärkste Fraktion im Bundestag, darüber täuscht kein Trick aus alten Juso-Zeiten hinweg. Am Ende zählen – noch! – vereinbarte Regeln und nackte Zahlen.

Der Wahlabend zeigte etwas von einem Alpha-Tier, das man lieber nicht gesehen hätte. Darüber lohnt zu diskutieren. Schon in der Begründung für den Wunsch nach Neuwahlen ließ Gerhard Schröder erkennen, dass er eine Art Spontanvotum über seine Politik den mühseligen Prozessen im Parlament vorzieht. Damals hätten ihm viele aus guten Verfassungs- und Demokratiegründen in den Arm fallen müssen, statt einen Weg zu ebnen, der alles in allem viel Chaos in der Sache und in der Seele geschaffen hat. Sie taten es nicht. Die Dinge nahmen ihren Lauf.

Jetzt ist genug gezockt worden. Was bleibt? Wochen der Lähmung, Ampelgespräche, die nach der bisherigen Aufstellung der Parteien und nach den Verletzungen des Wahlkampfes zu keinem Ergebnis führen können. Ein Kanzler, der gelegentlich den deutschen Parlamentarismus mit dem amerikanischen, französischen oder gar russischen Präsidialsystem zu verwechseln scheint.

Am Ende werden wir wohl eine große Koalition ohne Schröder und Merkel haben, die weniger glamourös ist, – es wird uns wirklich etwas fehlen – aber dafür gigantische Probleme stemmen muss: Föderalismusreform, Konsolidierung von Haushalt und Arbeitsmarkt, Steuervereinfachung, Bürgerversicherung. Reform der Uno, Stabilisierung der so schnell erweiterten EU und ihres inneren Konsenses, Selbstauflösungsrecht des Parlaments und aus Gründen des inneren Friedens ganz sicher keine Wahlrechtsreform. So gewaltig sind die Aufgaben. Genug zu tun für eine begrenzte Zeit.

Äußerst hilfreich wäre dabei, wenn das Parlament endlich wieder mehr ins Zentrum der auszuhandelnden Kompromisse und der öffentlichen Debatten rückte. Das ist sogar zwingend. Denn große Koalitionen brauchen erst recht die öffentliche Rede und Kontrolle dessen was sie tun. Und man muss ja auch wieder herauskommen, aus der großen Koalition.

Die Autorin ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Grüne.

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