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Politik: Am Anfang ist die Hoffnung

Von Clemens Wergin

Es geschieht selten, dass Wahlen über Krieg und Frieden entscheiden, über Tod und Leben vieler Menschen. Solch eine Wahl hatten die Palästinenser am Sonntag zu fällen. Und der große Ernst, mit dem sie ihrer Bürgerpflicht nachkamen, hat gezeigt, dass sich die meisten ihrer Verantwortung bewusst waren. Sie haben sich für Frieden und gegen das Chaos, für Verhandlungen mit Israel und gegen Terrorattacken entschieden. Die 62,3 Prozent, die Mahmud Abbas gewählt haben, geben dem neuen Präsidenten eine ausreichende Legitimation, die Autonomiebehörde zu reformieren und eine Versöhnung mit Israel anzustreben. Ein guter Anfang.

Eine Wahl macht aber noch keine Demokratie. Als Abbas nach dem Sieg sagte, jetzt gehe es darum, einen Staat aufzubauen, dann meinte das auch: eine funktionierende demokratische Gesellschaft. Ein Staat, in dem Rechtssicherheit herrscht, in dem die Bürger vor Banden, Terrorgruppen und mafiösen Clans geschützt werden. In dem es Pressefreiheit gibt und Oppositionelle nicht um Leben oder Gesundheit fürchten, wenn sie die Regierung oder Extremisten kritisieren. Der Weg zur Befreiung von israelischer Besetzung führt nur über eine Selbstbefreiung der palästinensischen Gesellschaft. Die Terrororganisationen haben ja nicht nur Krieg gegen Israel geführt. Sie haben auch die eigenen Leute zu Geiseln gemacht und verhindert, dass die Palästinenser sich in einer freien Debatte über Mittel und Ziele ihres Aufstandes hätten verständigen können.

Die Wahl von Abbas ist ein Zeichen dafür, dass die Mehrheit einen Neuanfang wagen will – auch nach innen. Abbas steht nun vor einer schier übermenschlichen Aufgabe. Er muss die zwölf Sicherheitsdienste vereinen und unter seine Kommandogewalt bringen. Er muss die verfilzte Verwaltung erneuern, die Geldvergabe transparenter machen sowie die mafiösen Strukturen bekämpfen. Die halten – neben der Besetzung – die palästinensische Wirtschaft am Boden. Er muss dafür sorgen, dass das Leben der Palästinenser spürbar besser wird. Und wenn es mit dem Palästinenserstaat etwas werden soll, muss Abbas auch die Terrororganisationen neutralisieren.

All das wird nicht ohne Hilfe von außen gehen. Ägypten und Großbritannien stehen bereit, beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen in Gaza zur Seite zu stehen. Europa und die internationale Gemeinschaft sollten beim Wiederaufbau der Infrastruktur helfen, um Arbeit und eine Basis für Investitionen zu schaffen. Am wichtigsten aber sind die Rollen Israels und der USA. Die Scharon-Regierung hat es in der Hand, Abbas stark zu machen. Dazu gehört es, die Einschränkungen der palästinensischen Bewegungsfreiheit auf das aus Sicherheitsgründen notwendige Minimum zu beschränken. Dazu gehören Gesten des guten Willens, zum Beispiel die Freilassung palästinensischer Gefangener. Sowie eine geregelte Übergabe des Gazastreifens an die Autonomiebehörde wie auch die Einhaltung israelischer Verpflichtungen aus Phase I der Road Map – zum Beispiel alle Siedlungsaktivitäten einzufrieren und die illegalen Außenposten aufzulösen.

Die USA wiederum müssen eine aktive Schirmherrschaft übernehmen. George W. Bush ist in seinen Zusagen so weit gegangen wie kein anderer Präsident vor ihm. Er hat erstmals die Errichtung eines Palästinenserstaates zur offiziellen Politik der USA gemacht. Nun muss seine Regierung viel „Mikromanagement“ betreiben, um diese Vision auch umzusetzen.

Aller guter Wille wird aber wenig nützen, wenn der Terror weitergeht. Abbas hat deutlich gemacht, dass er keinen bewaffneten Konflikt mit den Radikalen sucht. Nun muss er zeigen, dass es mit Überredung klappt. Am 17. Juli wählen die Palästinenser ein neues Parlament. Eine gute Gelegenheit für Dschihad und Hamas, sich in politische Parteien umzuwandeln. Bisher haben sie es abgelehnt, sich nationalen Wahlen zu stellen. Politik oder Panzerfäuste, Parlament oder Untergrund – Abbas ist stark genug, die Extremisten vor die Entscheidung zu stellen. Eines jedenfalls ist klar: Mit Terror wird es keinen Palästinenserstaat geben.

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