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Politik: Amerikas neue Welt

Von Clemens Wergin

Die Zeiten, als man in Washington vor Kraft kaum laufen konnte, sind vorbei. Jener triumphierend ausgerufene „unipolare Moment“ der USA ist unter irakischem Sand begraben. Der Irakkrieg hat nicht nur die Grenzen amerikanischer Macht aufgezeigt, sondern zu einem beispiellosen Ansehensverlust geführt. Der Atomdeal mit Indien zeigt nun, dass sich die Vereinigten Staaten auf eine Zeit vorbereiten, in der sie die Geschicke der Welt nicht mehr so maßgeblich prägen können wie in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten.

Washington hat erkannt, dass man mit dem Verbündeten Japan allein dem Aufstieg Chinas zur asiatischen Großmacht nicht genug entgegensetzen kann. Und da drängt sich das boomende, ebenfalls zum Weltmachtstatus strebende Indien als strategischer Partner förmlich auf. Die wirtschaftliche Entwicklung des Subkontinents mag der Chinas hinterherhinken. Dafür hat Indien einen entscheidenden Vorteil: Es ist die größte und eine der ältesten Demokratien des Globus.

Das entscheidende Hindernis war bisher Indiens Atomwaffenprogramm. Das Land hat den Atomwaffensperrvertrag zwar nie unterzeichnet. Als sein Nuklearprogramm 1974 aber bekannt wurde, verhängten viele Staaten einen Boykott gegen Indien im Bereich sensibler Technologien. Diese Sanktionen wurden 1998 nach dem Atomtest noch einmal verschärft. Man wollte ein Zeichen setzen, dass Staaten, die Atomwaffen entwickeln, dafür auch einen Preis zahlen müssen. Dass gerade Washington diese Quarantäne durchbricht und zivile Nukleartechnik liefern will, erscheint vielen als Doppelmoral. Wenn hier auch nicht die Paragrafen des Sperrvertrags verletzt werden, dann doch sein Geist. Dazu kommt, dass die US-Regierung Indiens Bombe in dem Moment absegnet, in dem enormer Druck auf Teheran ausgeübt wird, von der Bombe zu lassen. So dürfte es künftig noch schwieriger werden, Schwellen- und Entwicklungsländer vom Vorgehen des Westens im Fall Iran zu überzeugen.

Wenn man vom unglücklichen Zeitpunkt absieht, hat Bush im Grundsatz dennoch Recht. Eine zukünftige Weltmacht kann nicht über Jahrzehnte hinweg wie ein Paria behandelt werden. Die schiere Größe Indiens und sein enormes Zukunftspotenzial machen ein realpolitisches Arrangement notwendig. Und es nützt sowohl dem Klima als auch den Ölpreisen, wenn Indien seinen wachsenden Energiehunger vermehrt mit westlicher Nukleartechnik deckt, die sicherer und effizienter ist als die heimische. Der Deal ist auch besser als der vorherige Status quo, schließlich werden 14 der 22 indischen Reaktoren in Zukunft der Aufsicht der internationalen Atomenergiebehörde unterstellt und Indien verpflichtet sich offiziell, sensible Nukleartechnik nicht zu exportieren.

Wie immer man den amerikanisch-indischen Handel im Detail bewertet – er gibt den Blick frei auf die Welt des 21. Jahrhunderts. Der Einfluss Europas und der USA nimmt ab. Umso wichtiger, sich unter den Newcomern Verbündete zu suchen, die ähnliche Vorstellungen vom Management der Welt haben wie der Westen. Indien hat sich in den WTO-Verhandlungen als wichtige Brücke zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bewährt. Das Land hat, anders als Pakistan, seine Nukleartechnik auch nicht an Schurkenstaaten weitergegeben. Indiens Politik ist auch bereit, stetig mehr Verantwortung auf dem Globus zu übernehmen. Ein wenig Vertrauen gegenüber einer zwar immer noch problembeladenen, aber gefestigten Demokratie darf da schon sein.

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