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Merkel Halbzeit

© dpa

Angela Merkel: Die Unscharfmacherin

Sie regiert seit zwei Jahren, zwei weitere hat sie noch vor sich bis zur nächsten Wahl. Angela Merkel gab in dieser Zeit ein undeutliches Bild von sich ab – und oft ist sie nicht einmal zu sehen. Das ist riskant.

Von Robert Birnbaum

Ob das wirklich eine gute Idee war, dass Franz Müntefering die große Koalition in Zukunft nach Belieben mit Füßen treten kann? Aber so weit hat wahrscheinlich mal wieder keiner gedacht, als sie über das Abschiedsgeschenk für den Vizekanzler gegrübelt haben: Koalition … Kabinett … Halbzeit – na klar, ein Fußball! Ein roter mit schwarzen Flecken, mit den Unterschriften des ganzen Kabinetts darauf. Müntefering hat das Leder am Mittwoch im Kabinettssaal im Kanzleramt ein bisschen hin und her gedribbelt und knurrzend angemerkt, Schwarz sei auch bloß so eine Art tieferes Rot. Später hat er sich mit seinem leisen Sauerländerspott im Mundwinkel von der Kanzlerin angehört, dass die große Koalition eine Menge für das Land auf den Weg gebracht habe. „Das ist Ihnen zu verdanken“, hat Merkel gesagt. „Deshalb ein herzliches Dankeschön.“

Größere Wehmut hat nicht mitgeschwungen. Die hat ausgerechnet der Mann beigesteuert, der bei dem ganzen Vorgang nur Notar ist. „Sie werden mir fehlen“, bekannte Bundespräsident Horst Köhler, als er die Überlassungsurkunde übergab. Von Merkel war Ähnliches nicht zu hören. Erstens wohl, weil nicht vor Publikum zu Gefühlsausbrüchen neigt, wer seinen Wahlkreis auf Rügen hat, zweitens, weil Wehmut als politische Botschaft gedeutet werden könnte und drittens, weil das Spiel weitergeht.

Dabei wäre eine gewisse Wehmut durchaus angemessen gewesen. Für Merkel war die rote Mannschaftsaufstellung mit dem Spielmacher Müntefering komfortabel. Dessen Projekt hieß große Koalition; auf deren Erfolg hat er noch im härtesten Konflikt gesetzt. Der neue Spielmacher macht eher den Eindruck, als wolle er immer nur kurz von Mainz aus aufs Feld laufen und halte sich ansonsten frisch für die Revanche ab dem Jahr 2009.

Bevor über diese neuen Aufstellungen für die zweite Halbzeit zu reden ist, muss aber erst einmal festgehalten werden: Sie wirken erschöpft nach diesen zwei Jahren, abgekämpft aneinander. Niemand muss lange suchen, um von relativ wichtigen Koalitionären Sätze zu hören wie: „Meinetwegen kann das gerne morgen vorbei sein!“ Im Fraktionssaal der CDU/CSU klingen solche Sätze etwas forscher, einen Saal weiter bei der SPD etwas grimmig-resignierter. Der kleine Unterschied im Ton entspricht dem demoskopischen Befund. Die Union profitiert von dem seidenmatten Glanz, der ihre Kanzlerin in allen Umfragen umschimmert, die SPD profitiert bisher nicht. Aber so groß ist der Vorsprung der einen vor den anderen auch wieder nicht, dass daraus irgend etwas folgt außer schlechter Laune.

Ließe sich die Stimmung in den 24 Monaten großer Koalition wie auf einem Oszillographen als Spannungskurve aufzeichnen, ergäbe sich ungefähr das Bild eines schartigen Sägezahns: Steiler Anstieg, danach unaufhaltsam wieder abwärts mit einigen klar erkennbaren steilen Abbrüchen. Am Anfang hat es ja wirklich so etwas wie Euphorie gegeben, die gegenseitige Entdeckung des Christ- respektive Sozialdemokraten als eines Menschen wie du und ich. Man hat einander als „unsere neuen Freunde von der anderen Seite“ angeredet. Das klang wie Ferienlager in der Pubertät, leicht verklemmt, aber im Grunde nett. Die Zeitungen sind damals voll gewesen von rührenden Geschichten vom Unionsfraktionschef Volker Kauder, der über die Feuertreppe und per Du den kurzen Draht zum SPD-Kollegen Peter Struck hält.

Vor kurzem hatte Struck in der Sitzungswoche Geburtstag. Kauder hat auf der Fraktionsebene im Reichstag einen Späher aufgestellt, und als Struck während einer Fraktionssitzung kurz nach draußen in die Lobby kam, schoss Kauder aus seinem Fraktionssaal raus mit einem Blumenstrauß in der Hand, so groß, dass kein Kameramann ihn hätte übersehen können. Wie auch immer es krache, versicherte er dem SPD-Gegenüber lautstark, „uns beide kriegt niemand auseinander“. Strucks Freude über die Demonstration wirkte gebremst. „Volker, nu’ mach aber mal halblang!“ sprach seine Miene.

Tatsächlich sind beide Seiten sehr viel nervöser, als sie es sich anmerken lassen wollen; auch planloser. Der Koalitionsvertrag ist weitgehend abgearbeitet. Die Ergebnisse sind zwiespältig. Manches kann man vorzeigen – Haushaltszahlen vor allem. Anderes versteckt man besser – vorweg die Gesundheitsreform, die Merkels Meisterstück werden sollte und statt dessen die Zwangsverbündeten früh vor eine Kraftprobe stellte, deren Verletzungen bis heute nachwirken. Damals hat die SPD zum ersten Mal den Vorwurf erhoben, dass Merkel im parteipolitischen Ernstfall ihr Wort nicht halte.

Wer nun aber wissen will, was in den nächsten zwei Jahren thematisch noch kommt, erhält entweder schwer Vermittelbares präsentiert – „Föderalismusreform II“ ist für Normalsterbliche ungefähr so anschaulich wie die Allgemeine Relativitätstheorie – oder lauter konfliktträchtige Restfragen zwischen Erbschaftsteuer- und Bahnreform. Als Beschäftigungstherapie für die Beamtenapparate reicht das. Aber schon die Abgeordneten könnten beizeiten Schwierigkeiten bekommen, wenn sie daheim berichten sollen, was sie in Berlin denn eigentlich noch Wichtiges vollbringen. Es hat ja seinen Grund, wenn nun alle davor warnen, dass man sich keine zwei Jahre Dauerwahlkampf leisten dürfe. Solche Warner stellen gemeinhin eine moderne Variante des vorsorglichen Händewaschers Pontius Pilatus dar: Wenn der Dauerwahlkampf doch kommt – nicht meine Schuld!

Das Becken, in das Angela Merkel rechtzeitig zum Jubiläum die Hände taucht, hält ihr die „Bild“-Zeitung hin. „Wir dürfen das Erreichte nicht verspielen!“ steht über dem Interview, mit dickem Rufzeichen. Wer weiter liest, trifft auf ein paar deutliche Worte zur Verteidigung gegen die jüngsten Angänge von SPD-Seite – von der „Wortbruch“-Attacke in Sachen Mindestlohn bis zu den Anmerkungen des SPD-Vize, Außenministers und nunmehrigem Vizekanzlers Frank-Walter Steinmeier in Sachen Dalai-Lama-Empfang: „Als Bundeskanzlerin entscheide ich selber, wen ich empfange und wo.“

Ungewohnt deutliche Töne sind das. Aber darüber und darunter schwingt ein Grundton mit, der erahnen lässt, dass Angela Merkel in ihrer zweiten Halbzeit genau das zu bleiben gedenkt, was sie in ihrer ersten recht erfolgreich gewesen ist: Die Frau Bundeskanzlerin, im achten Stock des Kanzleramts leicht über den profanen Dingen angesiedelt, die drunten im Raumschiff Berlin die Gemüter erhitzen. Ein gezielt undeutliches Bild; übrigens ein Rollenmodell, das bis zu Gerhard Schröder die bundesdeutsche Normalform war. Merkels Ansehen bei den Menschen, hat neulich ein Kabinettsmitglied aus dem engeren Kanzlerinnenkreis prognostiziert, werde dadurch sogar noch weiter steigen: „Die Leute haben doch das Gefühl, dass sie ohne großes Theater ganz gut regiert werden.“

Das ist natürlich Zweckoptimismus. Zum Beispiel ist so sicher nicht, ob die Leute wirklich Merkel meinen oder die Befragung nicht bloß die erträgliche Wirtschaftslage auf die Kanzlerin abbildet. Immerhin zeigt der, gerade wenn die Analyse stimmt, zugleich deutlich die Risiken der zweiten zwei Jahre auf. Bis zur katastrophalen Wahlnacht 2005 hatte Merkel ein scharfes Profil. Seither arbeitet sie an der Weichzeichnung. Das Ungefähre, in das sie sich dabei begibt, ist ein relativ sicherer Ort. Doch die Sicherheit hat ihren Preis. Das Schreckbild der kalten Reformerin ist ins Archiv verdrängt; aber weder ist es ausgelöscht, noch steht an seiner Stelle ein klares anderes Bild.

Außerdem ist es anstrengend, die Balance zu halten. Der letzte Koalitionsausschuss war ein gutes Beispiel dafür. Er hat ein längeres Arbeitslosengeld I beschlossen, eine weitere Absenkung des Arbeitslosenbeitrags sowie keinen Post- Mindestlohn. Wenn sich die CDU-Vorsitzende Merkel ein Idealergebnis hätte wünschen können, um auf ihrem Parteitag in zwei Wochen alle Flügel ruhig zu stellen, dies wäre es gewesen. Eins rechts, eins links – Politik kann manchmal so einfach sein wie Strümpfe stricken. Aber selbst bei der Union behauptet keiner, dass ein Plan dahinter steckte. Eigentlich habe man erwartet, dass SPD-Chef Kurt Beck an jenem Abend einschlägt. Das hat Beck aber nicht getan.

Der Mainzer ist im Moment der größte Unsicherheitsfaktor in Merkels Kalkül. Wie Beck den Konkurrenten Müntefering kalt gestellt, der SPD ein warmes Bad in populären Forderungen verpasst und sie damit seit langem mal wieder in Vorderhand gebracht hat – „Respekt“, sagt ein CDU-Spitzenmann. Damit werden die Wahlen im Frühjahr in Hessen, Niedersachsen und Hamburg nicht nur zur ersten Anfrage der großen Koalition an den Wähler, sondern zugleich zum Test für Becks Kursänderung. Ein einziger Machtwechsel in einem der drei Länder, sagen Unionspolitiker, wäre für den SPD-Chef Bestätigung genug. Was dann kommt – der nächste Schwenk noch etwas weiter ins Linkspopuläre? Und Merkel müsste dann gegenhalten, ohne dass sie gleich wieder als Neoliberale dastünde?

Keiner weiß es, vermutlich nicht mal Beck selbst. Das ist überhaupt das Bezeichnendste an dieser Halbzeit. Es steckt ein großer Überdruss aneinander in der großen Koalition und zugleich eine hohe Spannung. Zu vieles ist ungewiss. Keiner hat einen sturmfesten Plan. Selbst Leute, die sonst unter vier Augen schon mal gerne weit reichende Strategien und Prognosen entwerfen, sind vorsichtig geworden. Weiß denn jemand, wie viel Oskar Lafontaines Linkspartei im Ernst bei den Wählern zählt? Kann denn einer sagen, wie sich die Konjunktur entwickelt? Nur in einem sind sich Koalitionäre bemerkenswert einig, dass nämlich der FDP-Chef Guido Westerwelle 2009 biologisch und politisch den Punkt erreicht haben wird, wo er um praktisch jeden Preis mitregieren muss. Aber was das für die taktischen Aufstellungen heißt, darüber denkt auch noch keiner so recht nach.

Merkel jedenfalls hat zum Jahrestag erst mal versucht, das leise schwankende Schiff zu stabilisieren. Die Bundesregierung müsse geschlossen bleiben, hat sie gesagt. Das Kabinett ist seit langem der wichtigste Ort der großen Koalition, vielleicht der einzige, wo das Grundprinzip hochgehalten wird, nach dem sie nur funktionieren kann, wenn sie funktionieren soll. Franz Müntefering hat das den Kollegen zum Abschied noch mal eingeschärft: „Die große Koalition hat Verantwortung für das Ganze und nicht für Teilmengen“, hat er gesagt. „Hier sitzen keine zwei halben Kabinette, sondern eine Regierung.“ Der Vizekanzler, berichtet der Regierungssprecher, habe damit das letzte Wort behalten. Das Problem ist nur: Auf Franz Münteferings Worte hört nicht erst seit diesem Mittwoch längst nicht mehr jeder.

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