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Politik: Angst regiert den Alltag

Seit zehn Jahren ist Syriens Präsident Bashar al Assad an der Macht – das Land wartet bis heute auf eine politische Öffnung

Jetzt sitzt er im Adra-Gefängnis. Zu drei Jahren Haft verurteilte ein Militärgericht in Damaskus den 79-jährigen Rechtsanwalt Haytham al-Maleh. Alle internationalen Proteste halfen nichts: Ein Telefoninterview des alten Mannes mit einem Fernsehsender in Europa hatte dem Regime nicht gefallen. „Syrien wird regiert durch Befehle, niemand ist vor Gewalt durch den Staat und seine Sicherheitskräfte geschützt“, sagte er. „Gesetze existieren nur in Büchern – und die stehen schon lange im Regal.“ Auch beklagte er die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die mit der wirtschaftlichen Öffnung einhergeht. Den Regierenden warf er vor, die öffentlichen Gelder zu verschleudern und dem Volk jede Rechenschaft zu verweigern. Zwei Tage später wurde der Gründer der syrischen Menschenrechtsvereinigung von Geheimpolizisten abgeholt und angeklagt wegen „Verbreitung von Lügen“, „Schwächung des Nationalgefühls“ und „Schmähung des Präsidenten“.

Dieser Präsident ist Bashar al Assad und inzwischen zehn Jahre an der Macht. Am 10. Juli 2000 wurde der damals 34-jährige gelernte Augenarzt mit 97,29 Prozent der Stimmen zum neuen Staatschef Syriens gekürt und eine Woche später vereidigt – die erste Vater-Sohn- Machtfolge in einer arabischen Republik. Vieles ist seither in Bewegung gekommen, nur eines hat sich nicht geändert: Syrien ist weiterhin der wohl düsterste Polizeistaat der Region.

Er sei ein Segler, „der die politischen Winde zu nutzen versteht, die durch die Region fegen“, lobte Assad sich in einem Interview zum Amtsjubiläum. Und Turbulenzen gab es mehr als genug: der 11. September 2001, der Sturz von Saddam Hussein nach der amerikanischen Invasion 2003. Bald sah sich Syrien zusammen mit dem Iran und Nordkorea zum Schurkenstaat gestempelt und nach dem Bombenattentat auf Rafik Hariri, den Ex-Premier des Libanon, international isoliert. 2005 folgte der schmähliche militärische Rückzug aus dem Zedernstaat, im Jahr darauf der Libanonkrieg. Trotzdem begann Syrien indirekte Friedensgespräche mit Israel unter türkischer Vermittlung, die seit dem Gaza-Krieg 2008 auf Eis liegen. Seit zwei Jahren nun ist Damaskus auf der internationalen Bühne wieder hoffähig. Staatsgäste aus den USA und Europa geben sich die Klinke in die Hand, auch wenn das Regime an seiner direkten Unterstützung für Hisbollah und Hamas sowie seiner Achse mit dem Iran festhält. Letzte Woche tourten der syrische Präsident und seine Frau Asma durch Lateinamerika und Spanien, wo sie sogar vom Königspaar empfangen wurden.

Ausländische Investoren haben Syrien als lukrativen Markt entdeckt. Viel von dem alten sowjetischen Muff ist verflogen. Schicke Restaurants und noble Hotels schmücken die syrische Hauptstadt. Assad ließ ausländische Banken und Importe herein, erlaubte private Universitäten und förderte privaten Wohnungsbau, ohne sein Land allerdings auch politisch zu öffnen. Der Geheimdienst ist allgegenwärtig. Jede Kritik am Regime wird erbarmungslos verfolgt. Das Internet ist zensiert, eine freie Presse existiert ebenso wenig wie eine aktive Zivilgesellschaft. Politische Diskussionen sind tabu, öffentliche Kritik an der endemischen Korruption führt direkt ins Gefängnis – genauso wie Murren über die wachsende Armut. Denn die einst flächendeckenden staatlichen Subventionen laufen aus, die Alltagspreise steigen, ohne dass die Gehälter mithalten. Der Osten leidet seit vier Jahren unter einer ungewöhnlichen Dürre, die immer mehr Familien vom Land in die Slums der Städte treibt. „Die Angst vor Chaos und das Versprechen von Stabilität – das sind hierzulande die Fundamente der Macht“, beschreibt ein junger Geschäftsmann die politische Grundformel seiner Heimat. „Wir aber bleiben weiter eine flüsternde Gesellschaft.“

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