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Politik: Angst vor einem starken Deutschland

In Frankreich und den Niederlanden sind Warnungen vor dem Nachbarn nie ganz verstummt – das zeigt ein Werkstattgespräch

Von Stephanie Nannen

Potsdam hat einen Wetterdienst und somit Einfluss auf den Wettergott, denkt jedenfalls der amtierende Oberbürgermeister, Jann Jakobs (SPD), der die Referenten und Besucher zum Podiumsgespräch der „Werkstatt Deutschland“ begrüßt. Fest steht, dass die Vorsitzenden der Werkstatt Deutschland in Bedrängnis gekommen wären, hätte die Sonne nicht so stark auf die nicht beheizbaren Neuen Kammern des Schlosses Sanssouci geschienen. Im einstigen Konzertsaal trafen sich an diesem Feiertag internationale Gäste aus Wirtschaft, Politik und Kultur zum „Nachdenken über Deutschland“ – und die lässt man nur ungern frieren.

Hinter dem goldenen Rednertisch, an dem „Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn und sein Stellvertreter Hans-Ulrich Jörges die Gespräche leiteten, erinnerten die vergoldeten Stuckreliefs der Ovidgalerie an den einstigen Hausherrn Friedrich II. Ohne Sorge – sans souci – wollte der hier seine Zeit verbringen und sich der Kunst, der Musik und der Philosophie widmen, sagte Klaus Rauscher, Vorsitzender des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall. Er warnte davor, die Sorgen des Einzelnen nicht mehr ernst zu nehmen, und sprach von einer verrohten und amerikanisierten deutschen Unternehmerkultur, die sich ausbreite. Es fehle schlicht an Verantwortungsgefühl. „Führen heißt dienen“, sagt Rauscher und plädiert dafür, die Eitelkeiten beiseite zu lassen und sich wieder auf den Dienst an der Sache und am Menschen zu konzentrieren.

Die französische Politikwissenschaftlerin Anne-Marie Le Gloannec hakt da ein und beklagt, dass wegen der „desolaten deutschen Finanzlage“ die Diplomatie nach außen auf der Strecke bliebe. Es müsse etwa mehr Mittel für die Bundeswehr geben. Denn selbst wenn heute ein Kanzler auf den Gedanken käme, Soldaten in den Irak zu senden, so könne er das gar nicht. Deutschland müsse die Anerkennung im Ausland, die es sich unter „starken Kanzlern von Adenauer bis Kohl“ erworben habe, nun auch rechtfertigen. Die Befürchtung, ausgerechnet Deutschland, das von vielen Ländern umgeben ist, könnte sich zum unilateralen Staat entwickeln, beschäftigte nicht nur die Französin.

Wolfgang Schäuble, der erst nachmittags nach Sanssouci kam, sprach von der Möglichkeit, dass die Welt Deutschland in Zukunft nicht so dringend brauchen könnte. „Aber ganz sicher brauchen wir Deutschen die Welt“, sagt er. „Autarkie war immer ein falscher Politikansatz – in der globalisierten Welt des 21.Jahrhunderts einschließlich der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen wäre es ein absurder Denkansatz“.

Am Tag der deutschen Einheit war der Redner größte Sorge, dass Deutschland sich zum Einzelgänger entwickele, dass sich nach Jahrzehnten der Integration und des Konsenses ein deutscher Sonderweg abzeichne. „Das macht ängstlich“, sagt der niederländische Autor Leon de Winter, der dem pazifistischen Gedanken hinter Schröders klarem „Nein“ zum Irak-Krieg nicht traut: „Wir glauben das nicht. Deutschland entwickelt sich wieder zu einer treibenden Kraft. Die Niederlande sind nur anderthalb Stunden von der deutschen Grenze entfernt – das führt dazu, dass man sich immer bedroht fühlt.“

Zwölf Jahre Deutschland, und es scheint, als sei die Vergangenheit nicht abzuschütteln. Die Furcht, gerade der Briten und der Franzosen, es könnte ein zu starkes Deutschland entstehen, das sich aus Europa und der NATO zurückziehen würde, hat sich nicht bewahrheitet. Ein Deutschland, das mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen kämpft, die es nicht bewältigt, ruft bei den Nachbarn ein schlechtes Gefühl hervor. Und Sorge, auch in der Sonne von Schloss Sanssouci.

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