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Politik: „Angst vor Rechten ist kein Grund“

Stephan J. Kramer über den Fall Nitzsche

Herr Kramer, Sachsens Ministerpräsident Milbradt hat dem CDU-Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche jetzt indirekt mit Parteiausschluss gedroht. Falls er noch einmal durch rechtslastige Bemerkungen auffalle, sei er für die CDU nicht mehr tragbar. Ist Milbradts Reaktion angemessen?

Es bleibt ein bitterer Beigeschmack. Ich weiß aus vielen Kontakten mit sächsischen Politikern und auch mit Herrn Milbradt, wie viel sich in puncto Auseinandersetzung mit rechtsextremem Gedankengut dort inzwischen getan hat. In diesem Falle frage ich mich allerdings, was noch geschehen muss, bis ein mehrfacher Wiederholungs- und Überzeugungstäter wie Herr Nitzsche seine Partei verlassen muss.

Weshalb ist das so?

Die NPD hat Nitzsche ja schon zum Übertritt eingeladen. Natürlich steckt die CDU da in der Zwickmühle, durch einen Ausschluss womöglich der NPD zum ersten Mal seit der Einheit Eingang in den Bundestag zu verschaffen.

Das wäre ein ehrenwerter Grund.

Aber kein ausreichender. Der Fall Nitzsche ist nach dem Fall Hohmann ein Zeichen für etwas, was gern bestritten wird: dass nämlich rechtsextreme Gesinnungen in der Mitte der Gesellschaft und im Bundestag angekommen sind. Es gibt, keineswegs nur in der Union, eine resistente Zahl von Abgeordneten, die offen oder hinter vorgehaltener Hand Dinge sagen, die weder mit unserer Demokratie noch mit der Programmatik ihrer Parteien vereinbar sind.

Wenn solche Fälle bekannt werden, ist die Aufregung aber groß. Die Öffentlichkeit reagiert.

Glücklicherweise ja. Leider bleibt es aber bei dieser reflexhaften Betroffenheit nach jedem Einzelfall. Es kommt nichts nach, es gibt keine offene Auseinandersetzung über Rechtsextremismus, keine Debatte über einen aufgeklärten Patriotismus. Als der damalige Zentralratsvorsitzende Paul Spiegel einen runden Tisch anregte, waren alle begeistert. Bis heute hat aber keiner die Idee aufgegriffen. Ich persönlich würde über ein Wort wie „Schuldkult“ sehr gern öffentlich mit Nitzsche debattieren; es käme dann sehr rasch heraus, was für ein unglaublicher Unsinn das ist.

Henry Nitzsche durfte zweimal direkt für eine demokratische Partei zum Bundestag kandidieren.

Genau da liegt das Problem. Aus Angst vor den Rechten akzeptiert man Leute, die deren Gedankengut teilen. Bei den Bürgern ist das Ansehen der Politik ohnehin im freien Fall. Wie will ich ihnen noch glaubhaft machen, dass die NPD eine demokratische Unmöglichkeit ist, wenn gestandene Bundestagsabgeordnete dasselbe sagen?

Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

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