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Anschläge in Madrid: Staatsanwältin fordert 39.000 Jahre Haft

Im Prozess gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid endet die Beweisaufnahme. Die Angeklagten erklären sich für unschuldig.

„Sie streiten alles ab, und keiner kennt den anderen“, fasst Pilar Manjon, Vorsitzende des Terroropferverbandes 11-M den Mammutprozess zusammen. 27 Männer und eine Frau sitzen seit viereinhalb Monaten in Madrid im größten Terrorverfahren Spaniens auf der Anklagebank. Ihnen wird vorgeworfen, am 11. März 2004 vier Nahverkehrszüge in die Luft gesprengt und 191 Menschen getötet zu haben. 19 Beschuldigte sind arabischstämmig. Neun weitere, die den Sprengstoff beschafft haben, haben einen spanischen Pass. Nun endete die zähe Beweisaufnahme, im Oktober will Richter Javier Gomez Bermudez das Urteil verkünden.

Die Angeklagten erklären sich alle für unschuldig. Staatsanwältin Olga Sanchez dagegen sieht nach der Anhörung von 300 Zeugen, 70 Sachverständigen und der Auswertung Dutzender abgehörter Telefonate und sichergestellter Fingerabdrücke ihre Anklage bestätigt: Danach sitzen in dem gepanzerten Glaskäfig im Gerichtssaal acht Haupttäter des Massakers von Madrid. Sanchez fordert jeweils Gefängnisstrafen von 39 000 Jahren – für „die Ermordung von 191 Menschen und dem versuchten Mord an weiteren 1824 Personen“, den bei den Anschlägen Verletzten. Nach spanischem Strafrecht müssen aber höchstens 40 Jahre abgesessen werden. Die übrigen 20 Beschuldigten sind als Helfer angeklagt.

Die Urteilsfindung wird kompliziert, denn die Beweislage ist nicht durchweg klar. So belasten den mutmaßlichen Chefideologen, den 35-jährigen Ägypter Rabei Osman al Sajed alias „Mohammed der Ägypter“, vor allem in Italien aufgezeichnete Telefonate. Laut Anklage soll al Sajed einem Freund am Telefon gesagt haben: „Der Terroranschlag war meine Idee.“ Die arabischen Übersetzer im Gerichtssaal konnten diesen entscheidenden Satz in der Tonbandaufnahme „nicht hören“. Al Sajed, der in Italien wegen terroristischer Aktivitäten zu zehn Jahren Haft verurteilt ist, sagt, er habe mit dem Attentat nichts zu tun. Er sei auf der Suche nach Arbeit nach Europa gekommen.

Ähnlich äußerten sich auch die übrigen arabischen Angeklagten: 14 Marokkaner, zwei Syrer, ein Algerier und ein Libanese. Die mutmaßlichen Drahtzieher Jussef Belhadsch (30) und Hassan al Haski (43) sagten: „Wir sind keine Radikalen, sondern ganz normale Muslime.“ Die Anklage sei „eine Erfindung“. Dschamal Sugam (33), der als einer der Bombenleger gilt und den Zeugen in den Todeszügen gesehen haben wollen, sagt, er habe „zum Zeitpunkt des Attentates zu Hause geschlafen“. Seine Mutter bezeugt dies. Die Anklage lastet dem damaligen Besitzer eines Handygeschäftes an, die Telefonkarten für die Mobiltelefone beschafft zu haben, die als Bombenzünder dienten. Von anderen Beschuldigten gibt es Fingerabdrücke in den Bombenwerkstätten.

Trotz der teilweise komplizierten Beweislage zweifelt kaum jemand daran, dass eine von Al Qaida inspirierte Islamistenzelle vor mehr als drei Jahren das Massaker plante und ausführte. Sieben islamistische Bombenleger sprengten sich drei Wochen nach dem Attentat in die Luft, nachdem die Polizei ihr Madrider Versteck umstellt hatte. Am 19. Oktober 2004 konnte die spanische Polizei außerdem eine weitere Islamistengruppe zerschlagen. Die Extremisten hatten geplant, ihre verhafteten und toten Gesinnungsgenossen zu rächen. Sie wollten mit einer Autobombe den Nationalen Gerichtshof in Madrid, der die Terrorermittlungen führt, in die Luft jagen. Schließlich beendete dann der Prozess auch alle „Verschwörungstheorien“ der konservativen Partei Spaniens, wonach die baskische Terrorgruppe Eta etwas mit dem Anschlag vom 11. März zu tun haben könnte.

Und es wurde deutlich, dass der Tragödie von Madrid zahlreiche Pannen der Polizei und Fehleinschätzungen der damals regierenden Konservativen vorausgegangen waren: Warnungen waren in den Wind geschlagen und bekannte Islamisten, die offenbar in den Anschlag verwickelt sind, unbehelligt geblieben.

Ralph Schulze[Madrid]

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