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Kundgebung eines Bündnisses gegen Antisemitismus in Hannover (Archivbild)

© dpa/Christophe Gateau

Antisemitismus in Deutschland und Europa: Die hilflose Suche nach Antworten auf den Judenhass

Die deutsche Politik verurteilt die jüngsten antisemitischen Ausschreitungen und spricht von harten Konsequenzen. Doch was bringt das in der Praxis?

Für Charlotte Knobloch sind die staatlichen Mittel noch längst nicht ausgeschöpft. Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden ist erschüttert, „wie schamlos der Antisemitismus auf den Demonstrationen der letzten Tage zur Schau gestellt wurde“. Es gebe Synagogen als Angriffsziele und Pro-Israel-Demos, die nur mit Polizeischutz stattfinden können. „Wenn das unsere Realität ist, hat der Judenhass gewonnen.“

Der heutige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fühlt sich bei den Parolen „an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte“ erinnert. „Antisemitismus darf nicht unter dem Deckmäntelchen der Versammlungsfreiheit verbreitet werden. Die muslimischen Verbände und Imame müssen mäßigend wirken“, erklärte Schuster. Der Zentralrat der Juden in Deutschland erhält derzeit massenweise antisemitische Beschimpfungen und hat sich entschlossen, einen Teil davon demonstrativ zu veröffentlichen.

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Vom Bundespräsident über die Bundeskanzlerin bis zu Innenminister Horst Seehofer (CSU) gibt es scharfe Verurteilungen, Deutschland mit seiner historischen Verantwortung gegenüber Israel und allen Menschen jüdischen Glaubens steht hier besonders unter Druck, diesem Antisemitismus, zur Schau getragen von vielen jungen Menschen mit arabischem Hintergrund, Einhalt zu gebieten - und die Polizei nicht mit dem Problem allein zu lassen. In solchen Momenten heißt es von Seiten der Politik, so sagt es jetzt auch Seehofer, dass solche Leute „die volle Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen“. Doch was soll das heißen?

Knobloch fordert Versammlungsverbot

Knobloch betont, wenn die Vernichtung Israels gefordert werde, müsse der demokratische Staat Versammlungen verbieten. Ein anderer Ansatzpunkt ist eine neue, vergangene Woche vom Kabinett beschlossene, aber noch nicht vom Bundestag gebilligte Strafvorschrift, die Juden, Muslime, aber auch Menschen mit Behinderung, Homosexuelle und andere vor verhetzender Beleidigung schützen soll. Solche herabwürdigenden Äußerungen sollen zur Straftat werden, um die Lücke zwischen Beleidigung und Volksverhetzung im Strafrecht zu schließen. Künftig soll dies mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren bestraft werden, wenn jemand andere in ihrer Menschenwürde angreift.

Doch die Abstufungen sind schwierig, und wenn vor Synagogen „Scheiß Juden“ skandiert wird, sind die Verantwortlichen schwer auszumachen.

Pistorius gegen „reflexartige" Strafrechtsverschärfungen

Boris Pistorius gehört zu der Riege der Innenpolitiker, die vor Schnellschüssen warnen: „Ich bin dagegen, jetzt reflexartig immer Strafrechtsverschärfungen zu fordern.“ Diese müsse man machen, wenn es eine Lücke gebe, sagt der niedersächsische Innenminister im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Klar sei aber, dass Konflikte aus anderen Regionen der Welt nicht auf deutschen Straßen weitergeführt werden dürfen. Aber es gebe nun mal ein Versammlungs - und Demonstrationsrecht. „Egal was für ein Unsinn es sein mag“, betont Pistorius. „Wer sich an die Gesetze nicht hält, muss damit leben, dass eingeschritten, eine Demonstration abgebrochen oder untersagt wird.“

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius.

© Britta Pedersen/dpa

Und eines ist in den Augen des Innenministers völlig klar: „Ganz gleich, welche Kritik an der Politik des Staates Israel geübt wird, das darf nicht dazu führen, dass Menschen jüdischen Glaubens irgendwo auf der Welt tätlich angegriffen oder beleidigt werden, oder ihre Einrichtungen beschädigt werden.“ Und man dürfe nicht vergessen, dass dort mit Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung geschossen wird.

Leider seien gerade junge Menschen leichter manipulierbar, sagt Pistorius mit Blick auf die hasserfüllten Demonstrationen. „Es ist mehr ein Informationsproblem als ein Bildungsproblem, durch einseitig gefärbte Information." In Niedersachsen seien die Schutzmaßnahmen für jüdische Einrichtungen auf Stufe 4 erhöht worden, mit erhöhter Präsenz vor Ort.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg (CDU), sieht vor allem Defizite in der Migrationspolitik. „Die antisemitischen Ausfälle vor allem arabischstämmiger Jugendlicher oder türkischstämmiger Rechtsextremisten bei den Demonstrationen müssen rechtlich geahndet werden", sagte er der dpa. Die Zuwanderung müsse „ein Maß behalten, das Integration noch ermöglicht", so Middelberg.

Mit Flaggen von Palästina in der Hand demonstrieren hunderte Menschen in Frankfurt am Main.
Mit Flaggen von Palästina in der Hand demonstrieren hunderte Menschen in Frankfurt am Main.

© dpa/Boris Roessler

Massiver Antisemitismus in Frankreich

Letztlich ist es ein Problem, das insgesamt in Europa zunimmt. Das zeigt besonders das Beispiel Frankreich. Staatschef Emmanuel Macron sprach bereits vor zwei Jahren von einem „Wiedererstarken des Antisemitismus, wie es ihn vermutlich seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat“. So war die Holocaust-Überlebende Mireille Knoll 2018 in Paris mit elf Messerstichen ermordet worden.

Während der Ermittlungen hatte sich ergeben, dass einer der Angeklagten mit der Hamas sympathisiert. Den Ermittlungen zufolge hat sich der 31-jährige Yacine M., dessen Urteil im Herbst erwartet wird, als Unterstützer des islamistischen Terrors zu erkennen gegeben.

Macron sieht einen „Antisemitismus, der sich auf einen radikalen Islamismus gründet". Diese „Ideologie“ habe einige der Vorstadt-Banlieues derart vergiftet, dass es zur Bildung regelrechter Parallelgesellschaften gekommen sei. Er benannte 45 Problemviertel, in denen zahlreiche Muslime leben, hier wurde die Polizeipräsenz erhöht.

Weil sich die Regierung des Gewaltpotenzials bewusst ist, waren pro-palästinensische Demonstrationen am Wochenende in Paris verboten worden. Die Polizei war in der Hauptstadt mit 4200 Beamten präsent, um das Verbot durchzusetzen. Dennoch registrierte das Innenministerium am Samstag 22.000 Personen, die sich landesweit zu pro-palästinensischen Demonstrationen versammelten. In Paris skandierte eine Gruppe von rund 100 Personen: „Israel assassin“ („Israel Mörder“).

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