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Teilnehmer einer Demonstration verbrennen am 10.12.2017 eine selbstgemalte Fahne mit einem Davidstern in Berlin im Stadtteil Neukölln. Die geplante Verlegung der US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem sorgte auch in Berlin für Proteste. Bei den pro-palästinensischen Demonstrationen wurden Fahnen mit dem Davidstern angezündet.

© Foto: Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V./dpa

Antisemitismus in Deutschland: Wie ein Antisemitismusbeauftragter mehr sein kann als das schlechte Gewissen der Nation

Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert einen Antisemitismusbeauftragten. Eine gute Idee - unter bestimmten Bedingungen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Der Zustand ist unerträglich. Die Polizei muss Synagogen vor Angriffen schützen, jüdische Friedhöfe werden geschändet, fanatisierte Muslime verbrennen Fahnen des Staates Israel. In Berlin und anderen Städten können sich Juden, die als solche zu erkennen sind, in Vierteln mit einem hohen Anteil muslimischer Migranten oder kerndeutscher Rassisten nicht angstfrei bewegen. Und auf vielen Schulhöfen ist „Jude“ ein Schimpfwort. All das wird immer wieder in Politik und Medien beklagt, doch das Land, so scheint es, hat sich an diesen Zustand längst gewöhnt. Antisemitismus ist Alltag.

Antisemitismus ist ein Querschnittsphänomen - der Beauftragte müsste sich um alle Formen gleichermaßen kümmern

Das ist nicht nur beschämend, weil die Erinnerung an den Holocaust Deutschland mehr als jedes andere Land verpflichtet, dem Hass auf Juden entgegenzutreten. Es ist beschämend, weil der Widerstand von Gesellschaft und Staat stärker, entschlossener sein könnte. Müsste. Deshalb ist jede Idee, was zu tun wäre, als Denkanstoß zu begrüßen. Und es ist anzuerkennen, dass Thomas de Maizière sein politisches Gewicht einsetzt und einen Beauftragten zur Auseinandersetzung mit dem Judenhass fordert, einen „Antisemitismusbeauftragten“.
Es wäre ein starkes Signal, würde die Bundesregierung oder der Bundestag einen Mann oder eine Frau benennen, die sich, unterstützt von einem Expertenteam, mit allen Facetten des Antisemitismus befasst und mit einem jährlichen Report für Aufklärung sorgt. Das wäre eine gewaltige Aufgabe. Antisemitismus ist ein Querschnittsphänomen, das in fast allen extremistischen Szenen auftritt – und in der Mehrheitsgesellschaft.
Ein Antisemitismusbeauftragter müsste sich, wollte er der Komplexität des Themas gerecht werden, dem Judenhass von Neonazis, Rechtspopulisten, Islamisten, linksextremen „Antizionisten“, türkischen Nationalisten und vieler weiterer fanatischer und gutbürgerlicher Milieus stellen. De facto wäre ein Antisemitismusbeauftragter auch ein Extremismusbeauftragter. Einer, der mit vielen Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu tun hätte.

Ein Antisemitismusbeauftragter muss mehr sein als eine Abladestelle für das schlechte Gewissen

Einen Antisemitismusbeauftragten zu installieren, wäre ein Kraftakt. Und nicht billig, soll der oder die Beauftragte nicht nur als Abladestelle für das schlechte Gewissen von Politik und Gesellschaft dienen. Er oder sie müsste sich mit zivilgesellschaftlichen Initiativen, vernetzen, an Regierungsprogrammen zur Förderung von Demokratie anknüpfen, mit der Wissenschaft zusammenarbeiten, beispielsweise dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität, und auch mit Polizei und Verfassungsschutz.

Das alles ist zu schaffen, wenn der politische Wille stark genug ist. De Maizières Vorstoß verdient Unterstützung.

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