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Arbeit am Diskurs: Die Community-Moderatoren haben eine wichtige Aufgabe beim Tagesspiegel. Kein Leserkommentar wird ungelesen im Forum veröffenlicht.

© Kitty Kleist-Heinrich

Arbeit der Community-Redaktion: Warum der Zensurvorwurf nicht greift

Moderatoren in der Community-Redaktion wird häufig vorgeworfen, sie betrieben Zensur. Stimmt das?

„Das ist Zensur!“ Man hat sich als Mitarbeiter in der Tagesspiegel Community-Redaktion schon fast an diesen Vorwurf gewöhnt. Er stammt von Forenmitgliedern, die es nicht nachvollziehen können, warum einer ihrer Kommentare nicht veröffentlicht wurde.

Tatsächlich ist es meine Aufgabe, zu entscheiden, welche Kommentare im Tagesspiegel Forum erscheinen. Bin ich ein Zensor?

Um dem auf den Grund zu gehen, lohnt sich zunächst eine andere Frage: Was bedeutet dieses Wort, „Zensur“?

Zunächst einmal bewirkt es einen historischen Vergleich. Der Begriff wird häufig in Aufzählungen der Machtmittel des Nationalsozialismus und der DDR eingesetzt und seine Verwendung beschwört deren Unterdrückungspraxis herauf.

Der Vorwurf ist leicht entkräftet

Der Vorwurf unterstellt der Community-Redaktion eine vergleichbare moralische Verwerflichkeit, indem er eine Behauptung aufstellt: Es gehe bei der Moderation des Forums um die Löschung unliebsamer Meinungen.

Der Vorwurf wiegt schwer, aber er ist leicht entkräftet. Dazu muss man nicht einmal darauf verweisen, dass weit auseinandergehende Meinungen in unseren Kommentarspalten veröffentlicht werden, oder darauf, dass die Community-Richtlinien, die Grundlage der Moderation, eine meinungsbasierte Auslese nicht erlauben.

Es genügt, innerhalb der Logik des historischen Vergleichs zu verbleiben. Denn dieser macht klar, dass hier zwei völlig verschiedene Prozesse mit demselben Begriff etikettiert werden.

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Das Beispiel des „Dritten Reichs“ verdeutlicht das: Damals gab es nicht nur direkte Anweisungen zu sprachlichen Formulierungen an die Presse. Auch die Einhaltung dieser Anweisungen wurde überwacht. Im Falle eines Verstoßes drohten ein Verbot der Zeitung oder die Verhaftung des Autors.

Der Begriff „Zensur“ bedeutete in diesem Fall die Kontrolle der öffentlichen Sprache und diese wurde auch mit staatlichen Machtmitteln durchgesetzt.

Das Bespiel zeigt, warum „Zensur“ eine Fehlbezeichnung für die Arbeit der Community-Redaktion ist. Auch wenn es auf einer banalen Ebene eine Parallele gibt (in beiden Fällen wird manches nicht veröffentlicht), die jeweiligen Kontexte offenbaren zwei fundamental unterschiedliche Vorgänge.

Die staatliche Zensur hatte echte Konsequenzen

Die staatlich betriebene Zensur betraf nicht allein den Text, sondern hatte echte Konsequenzen für ihren Autoren. Sie stand in einem System, in dem die betreffende Meinung nicht vorkommen sollte – und man nicht einfach zu einem anderen Forum wechseln konnte, um sie dort kundzutun.

Und auch die dahinterstehende Absicht war anders: Dem totalitären System ging es um die ideologische „Wahrheit“ und Kontrolle, dem Community-Moderator geht es um Sachlichkeit und Respekt.

„Eine Zensur findet nicht statt.“ Als dieser Satz in das Grundgesetz geschrieben wurde, geschah das mit Blick auf ebendiese totalitäre Sprachkontrolle. Es ging um die Begrenzung staatlichen Handelns, der Staat sollte Inhalte nicht vor ihrer Veröffentlichung kontrollieren dürfen.

Auch diese Verwendung zeigt: Der Begriff beschreibt staatliche Unterdrückung von Meinungsfreiheit. Er passt nicht auf die Interaktion zwischen der Community-Redaktion und ihren Kommentatoren.

Ein Gedankenexperiment

Um den Zensurvorwurf endgültig zu entkräften, hilft schließlich ein Gedankenexperiment: Ein Journalist bietet einer Zeitung einen Text an. Die Redaktion lehnt die Veröffentlichung ab, aus Stil-, Platz-, oder welchen Gründen auch immer. Ist das nun schon Zensur? Natürlich nicht.

Selbstverständlich hat eine Zeitung das Recht, über eine Veröffentlichung nach ihren eigenen Kriterien zu entscheiden. Auch an Online-Kommentare darf sie Kriterien legen.

Nun kann man das alles eine spitzfindige Wortklauberei nennen, die den polemischen Charakter des Zensurvorwurfs verkenne. „Zensur“ sei demzufolge nicht im Wortsinn zu verstehen, sondern nur als Ausdruck einer überspitzten Kritik an der zu strengen Moderation.

In manchen Fällen mag das so sein, vielleicht sogar in den meisten. Aber immer wieder ist der Zensurvorwurf in eine hochtrabende Sprache gekleidet, die den Verfasser zum letzten Recken wider den vordringenden Totalitarismus stilisiert.

Ein mächtiger Hammer

Dann wird „1984“ zitiert, Grundgesetzwidrigkeit behauptet, mit der DDR verglichen und allgemein ein mächtiger Hammer geschwungen. Wer aber mit großen Worten aufrüstet, der sollte auch verstehen, wie seine Waffen funktionieren. Eine spitzfindige Diskussion von Begriffsbedeutungen muss er allemal ertragen.

Es ist verständlich, wenn man Wut über den Gedanken empfindet, die eigene Meinung würde unterdrückt. Und natürlich gibt es auch in der Community-Redaktion Fehlentscheidungen. Die können wütend machen. In solchen Situationen wählt man schonmal große Worte.

Aber, und auch hierin unterscheiden wir uns von einem echten Zensurapparat: Sachlich reklamierte Fehler revidieren wir gerne. Deshalb, nur als Vorschlag: Schreiben Sie das nächste Mal „Das war ein Fehler!“ statt „Das war Zensur!“.

Alexander Hobe studiert Global History in Berlin und arbeitet in der Community-Redaktion des Tagesspiegels.

Alexander Hobe

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