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Politik: argentinien

Inflation, Abwertung, Korruption, Güterknappheit, Energieengpässe, Ärger mit den Altschulden – die Liste der Probleme, mit denen sich Argentinien herumschlägt, ist lang. Zu lang eigentlich für ein Wahljahr, in dem die linksperonistische Präsidentin Cristina Kirchner zwar nicht mehr selbst antreten kann, aber gern ein gewichtiges Wörtchen mitreden würde bei der Nachfolgeregelung.

Inflation, Abwertung, Korruption, Güterknappheit, Energieengpässe, Ärger mit den Altschulden – die Liste der Probleme, mit denen sich Argentinien herumschlägt, ist lang. Zu lang eigentlich für ein Wahljahr, in dem die linksperonistische Präsidentin Cristina Kirchner zwar nicht mehr selbst antreten kann, aber gern ein gewichtiges Wörtchen mitreden würde bei der Nachfolgeregelung. Und nun auch noch der mysteriöse Tod eines Staatsanwalts, der die Regierung der Vertuschung eines Attentats beschuldigt hat und wenige Stunden vor seiner Anhörung im Kongress tot aufgefunden wurde. Ob es Mord oder Selbstmord war, wer dahinter steckt und warum Alberto Nisman starb – diese Fragen haben eine beispiellose Gerüchteküche in Gang gesetzt und die Polarisierung zwischen Regierungsanhängern und -gegnern verschärft. „Wir alle sind Nisman“ erklären die aufgebrachten Regierungsgegner bei Straßendemonstrationen und in den sozialen Netzwerken. Sie fordern Transparenz und verdächtigen die Regierung. 70 Prozent der Bevölkerung glauben laut einer Ipsos-Umfrage, Nisman sei ermordet worden. Die Regierungsanhänger hingegen vermuten eine finstere Verschwörung entlassener Geheimdienstmitarbeiter, verbündet mit Washington. Nisman hatte gute Kontakte zum Geheimdienst und zur US-Botschaft. Der US-Regierung ist Argentinien suspekt; der Wall Street sind die Kirchners – vor Cristina war ihr inzwischen verstorbener Ehemann Nestor Präsident – ein Dorn im Auge wegen ihrer harten Haltung bei der Umschuldung nach der Staatspleite von 2002.

Dass in Nismans Tod auch noch der Nahost-Konflikt und die wechselnden, geopolitischen Allianzen Washingtons hinein spielen, macht die Sache nur verworrener. Nisman recherchierte seit über zehn Jahren die Hintergründe des Attentats auf das Jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires im Jahr 1994. Die Spuren führten nach Teheran, und 2007 erließ er Haftbefehle gegen ranghohe iranische Diplomaten und Politiker. Doch er befand sich auf dünnem Eis. Sowohl die jüdische als auch die pro-arabische Lobby sind in Argentinien einflussreich und ließen politische und Geheimdienstkontakte spielen, um die Ermittlungen in ihrem Sinne zu beeinflussen.

"Tote genießen in Argentinien größere Glaubwürdigkeit als Lebende"

Für die meisten Argentinier jedoch liegt das Attentat lange zurück, kommentiert Alvaro Abos in „La Nacion“. „Nisman war ein perfekter Unbekannter, bevor er zum Märtyrer wurde.“ Für die Regierung das denkbar schlechteste Szenarium, denn Tote genössen in Argentinien immer eine größere Glaubwürdigkeit als Lebende. Die Präsidentin – schon vorher angeschlagen durch Korruptionsermittlungen gegen die Verwaltung ihrer Hotels – geriet weiter in Bedrängnis, während die Opposition versucht, daraus politisches Kapital zu schlagen. Als „riesigen Schmutzfleck für die Demokratie und die Institutionen“ bezeichnete der Parteichef der Renovationsfront und wahrscheinliche Präsidentschaftskandidat, Sergio Massa, den Fall. Im Oktober finden Präsidentschaftswahlen statt, und obwohl die peronistische Regierung das Land heruntergewirtschaftet hat, ist ein Sieg der heillos zerstrittenen Opposition nicht garantiert. Besonders in der armen Bevölkerung geniessen die Peronisten aufgrund ihrer assistenzialistischen Sozialprogramme weiterhin Rückhalt. Auch bei Linksintellektuellen findet Kirchners antiamerikanische Rhetorik und ihre Konfrontation mit der konservativen Elite wie dem Medienhaus Clarín viel Beifall.

Die Justiz wurde in dem Land politisiert

Jenseits der ideologischen Grabenkämpfe illustriert der Tod Nismans beispielhaft die Versäumnisse dieser Regierung – und der peronistschen Art, Politik zu machen. Die Politisierung der Justiz ist einer der Schwachpunkte der argentinischen Demokratie, die Konzentration der Macht und Schwächung der Institutionen ein zweiter. Der Fall Nisman zeigt dem Kommentator Carlos Pagni zufolge ein weiteres Problem: dass sich die Geheimdienste politisiert und mafiöse Netzwerke für eigene Zwecke instrumentalisiert haben. Der vielleicht charakteristischste Schwachpunkt ist nach Einschätzung des Peronismusexperten Juan José Sebreli eine staatsdirigistische, populistische Wirtschaftspolitik, bei der „ein paar Jahre lang das Geld zum Fenster hinausgeworfen wird , und anschliessend die bittere Rechnung in Form einer Wirtschaftskrise aufs Tablett kommt.“ Und derzeit sieht es ganz danach aus: 40% mehr Staatsangestellte, 37% Inflation, Rezession, Devisenverkehrs- und Preiskontrollen haben die Argentinier den Glauben in ihre Wirtschaft verlieren lassen. 180 Milliarden US-Dollar haben sie im Ausland geparkt – mehr als die komplette Auslandsverschuldung.

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