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Armut ist mehr, als wenig Geld zu haben.

© Frank Kleefeldt / dpa

Soziale Ungleichheit: Armut, Reichtum, Ungleichheit

Die soziale Spaltung führt auch zu einer politischen Spaltung. Ein Gastbeitrag.

Seit geraumer Zeit wächst die soziale Ungleichheit – in Deutschland ebenso wie fast überall auf der Welt. Wie im jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung dokumentiert, zeigt sich die Verteilungsschieflage vornehmlich beim Vermögen, das sich zunehmend bei wenigen Hyperreichen konzentriert, die über riesiges Kapitaleigentum verfügen und meistens auch große Erbschaften machen.

Während die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung laut dem Regierungsbericht 51,9 Prozent des Nettogesamtvermögens besitzen, kommt die ärmere Hälfte der Bevölkerung gerade einmal auf ein Prozent. Stellt man die statistische Unsicherheit bei der Erfassung von Hochvermögenden in Rechnung, dürfte die reale soziale Ungleichheit noch erheblich größer sein. Die reichsten 45 Familien besitzen nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Bevölkerung.

Nach den Maßstäben der Europäischen Union gelten 13,4 Millionen Menschen hierzulande als von Armut betroffen oder bedroht. Sie haben weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung, was für einen Alleinstehenden 999 Euro im Monat entspricht. Mit 15,8 Prozent erreichte die Armuts(risiko)quote im Jahr 2017 einen Rekordstand im vereinten Deutschland. Die höchsten Armutsrisiken wiesen Erwerbslose (57,2 Prozent), Alleinerziehende (42,8 Prozent) und Nichtdeutsche (36,2 Prozent) auf. Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sind besonders stark betroffen, während das Armutsrisiko der Senioren am stärksten zunimmt.

Armut ist mehr, als wenig Geld zu haben. Während junge Menschen manchmal jahrzehntelang im Bereich des Wohnens, der Gesundheit und der Freizeitgestaltung sowie von Bildung und Kultur benachteiligt sind, wird Senioren der Lohn für ihre Lebensleistung verweigert. Letztere laufen überdies Gefahr, bis zu ihrem Tod sozial ausgegrenzt zu werden und isoliert zu bleiben. Längst ist die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich das Kardinalproblem der Bundesrepublik. Denn die soziale Spaltung des Landes zieht eine sozialräumliche Spaltung und eine politische Spaltung nach sich: Regionen entwickeln sich unterschiedlich, und die Großstädte zerfallen in Luxusgegenden in Citylage, in denen sich die Reichen und Wohlhabenden konzentrieren, und die Quartiere am Stadtrand, in denen sich die Armen und Abgehängten sammeln.

Zumindest ganz Reiche sind auch politisch einflussreich, wohingegen sich Arme ohnmächtig fühlen und ihre Interessen parlamentarisch nicht vertreten sehen. Deshalb nehmen sie kaum noch an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen teil: Mancherorts ist die Wahlbeteiligung in den Villenvierteln um 50 Prozentpunkte höher als in abgehängten Quartieren. Die soziale Polarisierung führt zur Entpolitisierung und zu einer Krise der repräsentativen Demokratie, wenn nicht mehr alle Bevölkerungsschichten am politischen Leben teilhaben.

Aufgrund der Finanzkrise hat die Abstiegsangst vieler Mittelschichtangehöriger zugenommen, die fürchten, trotz guter beruflicher Qualifikation und harter Arbeit ihren sozialen Status nicht länger halten zu können. Davon, dass die soziale Aufstiegsmobilität spürbar nachgelassen hat, die Verteilungsschieflage also zunimmt, profitieren rechtspopulistische Parteien wie die AfD und Gruppierungen wie Pegida, deren Propaganda dies als Ergebnis der Machenschaften korrupter „Alt-Eliten“ und einer Welle der Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme deutet. Arbeitsmigranten, Geflüchtete und Muslime werden so zu Sündenböcken für die Zunahme der sozialen Ungleichheit gemacht.

Professor Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Kürzlich ist sein Buch „Grundeinkommen kontrovers“ erschienen.

Christoph Butterwegge

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