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Politik: Attentat auf die Fundamente des Staates

Die Schüsse, mit denen die schwerste innere Herausforderung begann, die die Bundesrepublik bislang erlebt hat, brachen hinein in die Ruhe des beginnenden Osterfestes. Sie fielen an einem Gründonnerstag kurz nach neun Uhr in Karlsruhe, abgegeben vom Soziussitz eines Motorrad, das sich vor einer Ampel neben den Dienstwagen von Generalbundesanwalt Siegfried Buback geschoben hatte.

Die Schüsse, mit denen die schwerste innere Herausforderung begann, die die Bundesrepublik bislang erlebt hat, brachen hinein in die Ruhe des beginnenden Osterfestes. Sie fielen an einem Gründonnerstag kurz nach neun Uhr in Karlsruhe, abgegeben vom Soziussitz eines Motorrad, das sich vor einer Ampel neben den Dienstwagen von Generalbundesanwalt Siegfried Buback geschoben hatte. Der oberste Ankläger der Bundesrepublik war sofort tot, ebenso sein Fahrer, ein Begleiter wurde schwer verletzt und starb eine Woche später. Die Täter flüchteten. Das perfekte Attentat leitete die Eskalation des deutschen Terrorismus ein, die erst ein halbes Jahr später mit seinem als "deutschem Herbst" apostrophierten Kollabieren, mit der Flugzeug-Befreiung von Mogadischu und den Selbstmorden im Gefängnis Stammheim endete. An diesem Sonntag liegt dieser Anschlag ein Vierteljahrhundert zurück.

Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte der Terrorismus die Bundesrepublik schon fast ein Jahrzehnt. Doch mit dem Buback-Mord trat er in eine neue Phase. Bis dahin hatten die Terroristen versucht, Staat und Gesellschaft mit Anschlägen, Entführungen und der Organisation eines konspirativen Untergrunds zu erschüttern. Vor allem an den wirren ideologischen Erklärungen, die ihre Gewalttaten begleiteten, war immer noch zu erkennen, dass ihr Kampf gegen die Bundesrepublik eine Nachgeburt der Protestszene der sechziger Jahre war. Mit diesem 7. April gewann er eine neue, brutale Qualität.

Auch vorher hatte der Terrorismus eine blutige Spur gezogen. Doch der Mord an Buback war keine missglückte Entführung mehr wie der Tod des Berliner Kammerpräsidenten Drenkmann im November 1974 oder die Folge von Schusswechseln bei einer Fahndungsaktion. Er war als "Hinrichtung" eines Vertreters des bekämpften Systems geplant. Ein neuer Terroristen-Typus trat heraus aus dem Untergrund, währenddessen bisherigen Protagonisten, Baader und Meinhof, bereits der Prozess gemacht wurde. Ungerührt nahmen die Täter den Tod von Bubacks Begleitern in Kauf.

Ein Vierteljahrhundert später, nachdem sich längst erwiesen hat, dass die staatliche Ordnung dem Terrorismus widerstehen konnte, ist nur noch schwer vorstellbar, wie tief dieses Geschehen die Bundesrepublik aufgewühlt hat. Der Mord in Karlsruhe wirkte wie das Aufbrechen eines Abgrundes in der Gesellschaft. Rasch entfaltete die neue Gangart des Terrorismus ihre lähmende, verunsichernde Kraft. Die Berichte über die Tatabläufe, die Fahndungsplakate und das Arbeiten der Polizei-Maschinerie breiteten über die Bundesrepublik ein Klima beständiger, ängstlicher Anspannung.

Erst recht kann man sich heute keinen Begriff mehr von der Gewalt machen, mit der unter dem Eindruck des Terrors die inneren Spannungen und Verspannungen aufbrachen, die sich seit den sechziger Jahren in der Bundesrepublik ausgebreitet hatten, zumal in ihren intellektuellen und akademischen Quartieren. Das zeigte nichts so beängstigend und bedrückend wie der berüchtigte sogenannte Buback-Nachruf eines Göttinger Studenten, der sich "Mescalero" nannte. Die "klammheimliche Freude" über den Mord, die der konfuse Text bekannte - obwohl er die Tat eigentlich nicht billigte - wurde zur Formel für die moralische Verwilderung, die um sich gegriffen hatte. Das Elaborat löste flächenbrandartig einen Krieg der Erklärungen, Unterschriften-Listen und politischer Stellungnahmen aus. Sie verkämpften sich um die Rechtfertigung des Abdrucks des Pamphlets, sahen, je nachdem, Freiheit oder Staat gefährdet, und offenbarten doch vor allem eine tiefe Sprach- und Verständniskluft zwischen den verschiedenen Lagern.

Wahrscheinlich war dieser polarisierende Druck auf die Öffentlichkeit die eigentliche Belastungsprobe, die die Bundesrepublik damals traf. Erbittert wurde darüber gestritten, ob die Anti-Terrorgesetze die Liberalität der öffentlichen Ordnung beschädigten. Zum ersten Mal sah sich die Bundesrepublik mit dem klassischen Dilemma konfrontiert, dass Freiheit und Demokratie durch Maßnahmen verletzt werden können, die sie doch verteidigen sollen. Vor allem aber streute die Auseinandersetzung den giftigen Samen von Verdacht und Unterstellung in die Gesellschaft. Und er ging auf, in Universitäten, Parteien und Medien. Fortan wurden da die "Sympathisanten" des Terrors ausgemacht, dort die Verfechter eines repressiven "Sicherheitsstaates".

Wirklich gefährden konnte der Terrorismus - so scheint es uns heute - die Bundesrepublik nie. Doch die Frage, weshalb junge Menschen aus einem florierenden, liberalen Gemeinwesen ins Mörder- und Bandenwesen ausbrachen, Kinder weder von Hitler noch von Karl Marx, sondern dieser Gesellschaft, zudem keineswegs deren Souterrains, sondern ihrer Bel-Etage, hat sich in das Bewusstsein dieser Gesellschaft gefressen. Was da vor einem Vierteljahrhundert kulminierte, blieb eine Episode. Doch sie hat die Bundesrepublik bis heute nicht aus ihrem Bann entlassen.

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