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Politik: Auch 5 Jahre nach dem Ende der Apartheid herrschen an den Schulen in den schwarzen Wohngebieten katastrophale Zustände

Säuren und Laugen schwappen in kleinen Plastikbehältern, schmale Reagenzgläser und bauchige Glaskolben drängen sich in dunklen Holzkästen: Wenn Dorothea Coppard in der südafrikanischen Provinz Kwa Zulu unterwegs ist, ähnelt der Kofferraum ihres Wagens einem chemischen Labor.Die Frau mit dem Struwwelkopf ist aber weder Apothekerin noch für eine Pharma-Firma tätig: Als Lehrerin arbeitet sie für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) in Südafrika und unterrichtet - Lehrer.

Säuren und Laugen schwappen in kleinen Plastikbehältern, schmale Reagenzgläser und bauchige Glaskolben drängen sich in dunklen Holzkästen: Wenn Dorothea Coppard in der südafrikanischen Provinz Kwa Zulu unterwegs ist, ähnelt der Kofferraum ihres Wagens einem chemischen Labor.

Die Frau mit dem Struwwelkopf ist aber weder Apothekerin noch für eine Pharma-Firma tätig: Als Lehrerin arbeitet sie für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) in Südafrika und unterrichtet - Lehrer. Ihre Klientel kommt vorwiegend aus den Wohngebieten der Schwarzen: Das Land, in dem das erste Herz der Welt verpflanzt wurde, hat die Schulen in den schwarzen Wohngebieten so vernachlässigt, dass auch fünf Jahre nach dem Ende der Apartheid von Chancengleichheit zwischen Schwarz und Weiß keine Rede sein kann. Vor allem in den Naturwissenschaften haben Schüler und Lehrer Nachholbedarf, gerade auf Physik, Chemie und Mathe legt das neue Südafrika aber besonderen Wert. Schließlich will man wirtschaftlich zu den Industrienationen aufsteigen, ein Vorhaben, für das man vor allem gut ausgebildete Informatiker, Ingenieure und Naturwissenschaftler braucht.

Wo fließendes Wasser und Strom eher die Ausnahme als die Regel sind, sind Schulbücher und Laborräume allerdings oft unerschwinglicher Luxus. Schwer, den Schülern hier das Reich der Moleküle oder die Wunder der Datenverarbeitung näher zu bringen. Das Science Center in Richards Bay verleiht darum kleine Mini-Labors - dunkle Holzkästen, von denen ein Teil gerade in Dorothea Coppards Wagen liegt. Den Umgang damit müssen die Lehrer allerdings erst lernen. "Es sind ja nicht nur Geräte und Chemikalien die hier fehlen", sagt Dorothea Coppard, "die Lehrer selber sind schlecht ausgebildet Hier gibt es Chemie-Lehrer, die noch nie ein Reagenzglas in der Hand hatten."

An diesem Morgen fährt sie nach Kwa Dlangezwa, rund 50 km außerhalb des Zentrums von Richards Bay. Vorbei an dunklen Eukalyptusplantagen und grünbraunen Zuckerrohrfeldern. Die Schule besteht aus drei niedrigen weißen Häusern mit Wellblechdach. Kein Strom, ein Wasserhahn versorgt die gesamte Schule, gut gesichert durch eine Gittertür mit Vorhängeschloss - sonst würde sich das gesamte Dorf hier das Wasser holen. Im weißgekalkten Klassenraum sitzen rund fünfzig Jugendliche zwischen 17 und 22 Jahre alt. Der grauhaarige Lehrer an der Tafel erklärt die Photosynthese, die Lichtreaktionen der Pflanzen. Genauer gesagt, ihren Nachweis an den Pflanzenblättern. Anschauungsobjekt sind kleine Weihnachtssterne, die zu Hunderten an den Straßenrändern in Kwa Zulu wachsen.

Auch wenn immer in Südafrika oft über die fehlende Disziplin der Schüler geklagt wird - in Kwa Dlangezwa hören die Schüler an diesem Morgen gespannt zu. Aufgeregt schnatternd, stürzen sie sich danach auf die Kästen und bilden kleine Gruppen. Die Bilder auf der Anleitung werden noch einmal studiert. Fast zärtlich zieht einer von den Jüngeren unter ihnen dann vorsichtige eine Glasplatte aus der Sperrwolle. Sorgfältig legt er das Blatt auf das Glas und beträufelt es mit einer durchsichtigen Tinktur, respektvoll schauen die anderen zu. Als sich dann wirklich die Farbe ändert, ertönt ein Triumpfgeheul, das glatt als Kriegsschrei ihrer Zulu-Vorfahren durchgehen könnte.

Sehr schweigsam hat der 17-jährige Musawenkosi Cele bei dem Versuch zugeguckt, verlegen schaut er auf seine Hände. Ihm ist mulmig zumute: Dreimal erst hat der schlaksige Junge während seiner zwölfjährigen Schulzeit mit den Laborkästen gearbeitet - und trotzdem soll er in wenigen Tagen zum landesweiten Abitur, dem Matric, antreten. Alle Examenskandidaten müssen dann einzelne Experimente genau beschreiben. Dabei hat Musa, wie er von seinen Freunden genannt wird, noch Glück: Einige seiner Freunde, sagt er langsam und sorgfältig auf Englisch, haben in ihrem ganzen Leben noch keinen Versuch gesehen.

Die Situation ist für Schüler und Lehrer schwierig. Während eine ehrgeizige Regierung vom Unterricht mit modernsten Methoden träumt, "schülerzentrierten Unterricht" und "fächerübergreifenden Projekte" einführen will, sind Lehrer und Schulen noch lange nicht so weit. Viele der Lehrer sind gleich nach ihrem Schulabschluss wieder zurück in den Klassenraum gegangen, mehr als eine zweijährige Collegausbildung haben die wenigsten von ihnen hinter sich.

Das hat Folgen und ist einer der Gründe, warum bei den jährlichen landesweiten Abiturprüfungen in den letzten Jahren fast die Hälfte der angetretenen Kandidaten durchfiel. Nur ein Drittel von ihnen bekam ein Abschlusszeugnis, das gut genug für eine der Universitäten des Landes war. Der Unterschied zwischen Schwarz und Weiß zeigt sich auch in den Ergebnissen. Zwar unterscheidet die offizielle Statistik in Südafrika nicht mehr zwischen den einzelnen Gruppen. Trotzdem gehen Experten davon aus, dass die Quote der durchgefallenen Prüflinge in den weißen Wohngebieten 20 Prozent, in den der Schwarzen dagegen bei achtzig Prozent liegt.

Jahrelange Schulboykotte gegen die Regierung der Weißen haben nicht nur bei Schülern, sondern auch bei Lehrern Spuren hinterlassen. Während der Apartheid waren die Schulen weniger Ausbildungsorte als politische Zentren, in denen der Widerstand gegen die Regierung organisiert wurde. "Wir müssen den Jugendlichen und den Lehrern erst einmal wieder eine Lernkultur beibringen", beschreibt Coppard das Klima an Südafrikas Schulen. Im vergangenen Jahr tadelte Ministerpräsident Thabo Mbeki, damals noch Stellvertreter von Nelson Mandela, die Lehrer in aller Öffentlichkeit und forderte mehr Selbstdisziplin und eine bessere Arbeitsmoral.

Im beschaulichen Kwa Dlangezwa hätte Mbeki an diesem Tag wenig Grund zur Schelte. Musawenkosis Lehrer ist mittlerweile schon fast Stammgast im Science Center und einer der engagiertesten Lehrer in Kwa Dlangezwa. Auch wenn ihn einiges an der neuen Regierung stört, im Prinzip, sagt er, ist der neue Kurs richtig. Gläser und Tinkturen sind in der Zwischenzeit wieder ordentlich verpackt. Zeit für die Rückkehr nach Richards Bay. Auch für die Schüler ist heute Schluss.

Für Musawenkosi heißt das: Zeit, sich um seine Bewerbungen zu kümmern. Im vergangen Jahr wurde rund ein Drittel der Schulabgänger in Richards Bay arbeitslos, und Musa will auf keinen Fall zu ihnen gehören. Ein Chemie-Liebhaber ist - trotz Science Center - aber auch nicht aus ihm geworden. Im nächsten Jahr, hofft er, wird nur noch mit Kabeln und Klemmen hantiert: Als Elektrotechniker in Richards Bay.

Katharina Voss

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