zum Hauptinhalt

Politik: Auch ein starkes Bündnis braucht Erneuerung: Die USA und Europa enfremden sich außen- und sicherheitspolitisch immer stärker (Kommentar)

Seit dem Ende des kalten Krieges haben sich in Amerika und Europa gegensätzliche sicherheitspolitische Kulturen entwickelt. Nicht nur sind Mitglieder der US-Administration sowie des Kongresses mit ihren europäischen Partnern oft uneins, wenn es um die Einschätzung von Bedrohungen und den angemessenen Umgang mit ihnen geht.

Seit dem Ende des kalten Krieges haben sich in Amerika und Europa gegensätzliche sicherheitspolitische Kulturen entwickelt. Nicht nur sind Mitglieder der US-Administration sowie des Kongresses mit ihren europäischen Partnern oft uneins, wenn es um die Einschätzung von Bedrohungen und den angemessenen Umgang mit ihnen geht. Auch in den Gesellschaften haben sich ganz unterschiedliche Diskurse entwickelt. Daher wird auch der Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen an diesem Befund nichts ändern können. Der Streit um die amerikanischen Pläne für eine Raketenabwehr ist nur der sichtbarste Ausdruck transatlantischer Missverständnisse. In Wirklichkeit geht der Riss tiefer: Amerika und Europa haben sich in der Sicherheitspolitik auseinander entwickelt. Dies ist für beide Seiten, besonders aber für die Europäer, nicht ungefährlich. Denn in einer Welt, in der moderne Technologie, die normalerweise auch militärisch anwendbar ist, immer schneller verbreitet wird, kommt es darauf an, den daraus resultierenden Gefahren gemeinsam zu begegnen.

Bis weit in das liberale amerikanische Lager hinein werden Länder wie Irak, Iran, oder auch Nordkorea als Bedrohung, also als "Risikostaaten" wahrgenommen. Gefürchtet werden diese Länder, weil sie versuchen, sich Massenvernichtungswaffen und weit reichende Trägermittel, Flugzeuge oder Raketen, zu verschaffen. Außerdem werden sie nicht demokratisch regiert.

Europäer teilen entsprechende amerikanische Besorgnisse oft nicht. Sie halten viele amerikanische Ängste für übertrieben. Als der iranische Präsident Chatami unlängst in Berlin auf Staatsbesuch weilte, befassten sich die Kommentatoren und Berichterstatter mit Themen wie der wirtschaftlichen Kooperation zwischen Deutschland und Iran oder den Perspektiven der von Chatami eingeleiteten Reformen. Alles in der Tat wichtig. Aber in den USA wäre dies völlige unvorstellbar. Dort würden Journalisten Fragen stellen wie: Verfolgt Iran ein geheimes Atomprogramm? Bedroht Iran amerikanische Interessen?

Ähnlich gegensätzlich verlaufen die Debatten, wenn es um die Instrumente geht, um potenziellen Bedrohungen zu begegnen. Die USA setzen hier zunehmend auf nationale Konzepte wie eben die Raketenabwehr. Europäer sehen darin die Gefahr einer strategischen Destabilisierung. Sie beklagen den amerikanischen Hang zum Unilateralismus, also einer Politik, die nationalen Interessen den Vorrang vor der Kooperation mit Partnern gibt. Europäer bevorzugen das kooperative Instrument der Rüstungskontrolle. Doch diese findet in Washington immer weniger Anhänger.

Nicht ganz ohne Berechtigung wird darauf verwiesen, dass Rüstungskontrolle in wichtigen Fällen schlicht versagt hat. So versuchte Saddam Hussein, sich Kernwaffen zu verschaffen, obwohl sein Land Mitglied des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages ist. Umgekehrt ist die europäische Sorge nicht unberechtigt, dass die Raketenabwehr quasi als Ersatz für Rüstungskontrolle nicht nur die so wichtigen Beziehungen zu Russland zerstören, sondern auch in Asien eine neue Rüstungsdynamik, ein Wettrüsten, entfachen könnte.

Was könnte Europa dazu beitragen, um den transatlantischen Graben in der Sicherheitspolitik zu überbrücken? Einmal wäre es hilfreich, wenn die Europäer sich bei der Politik zur Vermeidung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen stärker engagieren würden. Im wichtigen Dialog mit Ländern wie Iran sollte deshalb erkennbar auch die Rüstungskontrolle eine Rolle spielen. Auch was Nordkorea anbelangt, sollte Europa Flagge zeigen. Die Kontakte Pjöngjangs mit den USA und Russland sind selbstverständlich zu begrüßen. Doch warum schickt die EU nicht ihren "Mr. GASP", Javier Solana, in die nordkoreanische Hauptstadt, um das europäische Interesse an einer Beilegung des Korea-Problems zu dokumentieren?

Zum anderen nutzt es wenig, wenn Europa Amerikas Raketenabwehrpläne abschlägig beurteilt. Das Problem ist nicht die Raketenabwehr an sich, sondern ihr politischer Kontext. Die USA forcieren dieses Projekt zu einem Zeitpunkt, in dem sie Rüstungskontrolle hintanstellen. Beispiel: Die Ablehnung des nuklearen Teststoppvertrages durch den US-Senat im Herbst 1999. Was aber spricht gegen einen begrenzten Schutz, wenn dadurch die Rüstungskontrolle nicht zerstört würde?

Amerika und Europa sind dabei, sich in der Sicherheitspolitik weiter voneinander zu entfernen, als beiden gut tut. Denn auch das 21. Jahrhundert steckt voller Gefahren. Stichwort Verbreitung von ABC-Waffen. Um diesen Bedrohungen effektiv zu begegnen, müssen die USA und Europa wieder verstärkt an einem Strang ziehen. Vonnöten ist ein integrierter Politikansatz, der kooperative Elemente wie die Rüstungskontrolle mit Projekten wie der Raketenabwehr zusammenführt.

Der Autor ist sicherheitspolitischer Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin.

Oliver Thränert

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false