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Politik: Auf Bonn kann die Flüchtlingskommissarin zählen

"Ich schließe nicht aus, daß wir weitere Flüchtlinge aufnehmen, wenn es sich zuspitzt." OTTO SCHILY (SPD), BundesinnenministerHilfe, lautet die Botschaft von Otto Schily, kann sich nicht auf Angebote beschränken, sondern fordert eigene Aktivität.

"Ich schließe nicht aus, daß wir weitere Flüchtlinge aufnehmen, wenn es sich zuspitzt." OTTO SCHILY (SPD), Bundesinnenminister

Hilfe, lautet die Botschaft von Otto Schily, kann sich nicht auf Angebote beschränken, sondern fordert eigene Aktivität.Die Bemerkung des Bundesinnenministers in Bonn ist auf die europäischen Nachbarländer gemünzt, die mit ihren Angeboten, erst recht aber mit deren Realisierung weit hinter der deutschen Hilfe für die Kosovo-Vertriebenen zurückbleiben.Binnen elf Tagen, von 7.bis zum 17.April, hat Deutschland fast 10 000 Kosovo-Albaner nach Deutschland ausgeflogen.Genau: 9886 Menschen, darunter 3470 Frauen, 2554 Männer, 3042 Kinder unter 14 Jahren und 820 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren.Deutschland hat damit sein Angebot auf den Hilferuf der UNO-Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata aus der Osterzeit eingelöst.

Kurz vor Ostern hatte die UN-Flüchtlingskommissarin angesichts der Flüchtlingswellen darum gebeten, daß die europäischen Länder Menschen aus dem Kosovo aufnehmen.Der Grundsatz, der serbischen Vertreibungspolitik nicht durch die Aufnahme von Flüchtlingen unter die Arme zugreifen, war nicht mehr zu halten, weil die umliegenden Grenzländer völlig überfordert waren.858 700 Vertriebene in der Region meldet die Statistik des UN-Hochkommissariats für Flüchtlingsfragen (UNHCR) mit Stand vom 16.April.Albanien, das ärmste Land Europas hat davon 359 000 aufgenommen."Das ist, als wären acht Millionen Flüchtlinge in Deutschland," vergleicht Schily.

Hinter solchen Zahlen verbergen sich handfeste Probleme.Den Kosovo-Albanern geht es ökonomisch besser als den Albanern und manchmal, berichtet Schily, sind die Lager der Vertriebenen noch besser ausgestattet als die umliegenden Häuser der einheimischen Bevölkerung.Da gibt es bei den Hilfsgütern eben "Schwund".Mazedonien beherbergt 133 000 Vertriebene, wie man weiß, mit Ängsten vor einem drohenden Übergewicht der albanischen Bevölkerung.49 000 dieser Flüchtlinge leben in Lagern, die Mehrzahl ist in Familien untergebracht.

Viel, viel Zeit kostet bei den Evakuierungen allein das Auswahlverfahren in den Flüchtlingslagern, weil die Aufnahmeländer schon vor der Abreise der Menschen recht genaue Angaben über die Flüchtlinge einfordern, denen sie das Gastrecht gewähren wollen.Auch ist der Flughafen der mazedonischen Haupstadt Skopje völlig überlastet.

Das zügige Ausfliegen der 10 000 Flüchtlinge nach Deutschland, berichtet Matthias Seeger, hat dagegen dazu geführt, daß für solche Flüchtlinge, die vor der mazedonischen Grenze auf Aufnahme warten mußten, der Grenzübergang erst erlaubt wurde.

Seeger, Schilys Koordinator für den Flüchtlingstransport, weist die Kritik, es hätten zu viele junge albanische Männer in die Flugzeuge gedrängt, zurück.Deutschland ist als Ausreiseland attraktiv, schon deshalb, weil viele hier Verwandte haben.Über die Listen der Auszufliegenden, berichtet Seeger, haben OSZE und UNHCR entschieden.Dabei sei der Grundsatz gewesen, Kranke, Frauen, Kinder, Alte vorrangig zu behandeln, ohne Familien auseinanderzureißen.

"Das schieße ich nicht aus", sagt Schily auf die Frage, ob Deutschland weitere Flüchtlinge aufnehmen werde, wenn die Situation sich zuspitze.Er betont aber, daß "eine aktuelle Anforderung" des UNHCR nicht vorliege.Auch das jüngste Interview von Frau Ogata, in dem sie Bonn um die Aufnahme weiterer 10 000 Kosovaren bittet, habe er so verstanden, daß Deutschland nicht jetzt, sondern im Fall einer weiteren akuten Lage zusätzlich Flüchtlinge aufnehmen soll.

Die Länder-Innenministerien lehnten es am Abend erneut ab, weitere Kosovo-Flüchtlinge aufzunehmen.Auch die moderate Forderung aus Schleswig-Holstein, die Quote um 50 Prozent zu erhöhen, fand keine Mehrheit."Die Front bröckelt aber", hieß es aus Kiel.Brandenburg, Rheinland- Pfalz und das Saarland stützten die Position, daß Ausnahmen in Härtefällen gemacht werden.

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bat die NATO unterdessen, Flüchtlinge mit Hubschraubern aus den überfüllten Flüchtlingscamps in Mazdeonien auszufliegen.Mazedoniens Regierung zum Beispiel ist längst nicht mehr er der Lage.UNHCR-Sprecherin Ghedini drängt: "Wir müssen deutlich mehr Menschen herausbringen." Enttäuscht ist die Hilfsorganisatoren von jenen Regierungen, die einst erklärten, Flüchtlinge aufnehmen zu wollen, jetzt aber lieber am Ort helfen wollen.Allein die europäische Regierungen hatten einst 85 000 Plätze angeboten.Bis Donnerstag wurden aber erst rund 18 000 Menschen ausgeflogen."Wenn zumindest fünf Länder in Europa ihr zugesagtes Angebot schnellsten wahrmachen, wäre die Krise sehr rasch beigelegt", heißt es auch bei der deutschen außenstelle des UNHCR in Bonn.Bislang nahm die Türkei 4002 von zugesagten 20 000 Flüchtlingen auf, Norwegen 1104 (6000), Polen 645 (1000) und Österreich 324 (5000).

Allein 30 000 Kosovaren steht der Weg nach Übersee frei: Sowohl die USA (20 000) als auch Kanada (5000), Chile (400 bis 500), Australien (4000) und Neuseeland (200 Familien) bieten ihre Hilfe an.Das UNHCR plädiert jedoch dafür, die Vertriebenen möglichst "heimatnah" unterzubringen und vorerst nicht nach Übersee zu fliegen.Nach Auskunft britischer und amerikanischer Hilfsorganisationen sollen die Kosovo-Flüchtlinge an den Planungen für ihre Rückkehr und den späteren Wiederaufbau des Kosovo beteiligt werden.Derzeit beraten auf Anregung Londons Vertreter mehrerer NATO-Staaten über Rückkehroptionen für die Vertriebenen.

Die Bundesländer Hessen und Sachsen-Anhalt haben sämtliche Abschiebungen in alle Balkan-Länder ausgesetzt: "Deren Kapazität ist am Ende." Die Kosovo-Nachbarn sind seit Januar 1998 wichtigster Zufluchtsort der Kosovaren.Während die Regierung von Montenegro Milosevic nicht nur politisch Paroli bietet, sondern auch fast 70 000 Kosovo-Flüchtlinge aufgenommen hat, muß Bosnien neben seinen zwei Millionen Binnenflüchtlingen aus dem Bosnienkrieg noch 32 000 Kosovaren versorgen.

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