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Politik: Auf Kurs gegen Brüssel

Beim Stabilitätspakt will Frankreich keine Kompromisse eingehen

Von Sabine Heimgärtner, Paris

Deutschland kann vielleicht erst einmal aufatmen: Die EU-Kommission plant nach einem Bericht der „Financial Times Deutschland“ vorerst kein Verfahren gegen Deutschland wegen des zu hohen Defizits. Frankreich dagegen muss demnach spätestens im November mit Auflagen rechnen. Der Haushaltsentwurf für 2004 soll in einer Woche vorgelegt werden. Unter dem Druck eines erwarteten Defizits von vier Prozent und im Wahlkampf versprochenen Steuererleichterungen von drei Prozent ist Regierungschef Jean-Pierre Raffarin unversehens zum Anti-Europäer geworden: Er steuert Frankreich auf einem eigensinnigen Kurs gegen Brüssel. Vorrang der nationalen vor der europäischen Wirtschaft, erst mehr Wachstum, dann Einhaltung der Stabilitätskriterien von Maastricht, lautet seine trotzige Devise.

Vor jugendlichen Mitgliedern seiner Partei sagte Raffarin: „Lasst euch nicht von den Debatten über Zahlen beeindrucken, schaut in die Zukunft.“ Mit etlichen seiner Parteifreunde dürfte es sich Raffarin erst einmal verdorben haben, mit den Brüsseler Finanzbeamten sowieso und besonders mit dem französischen Handelskommissar Pascal Lamy. Den rief Raffarin zu Disziplin, Ordnung und Solidarität mit Frankreich auf, obwohl Lamy nur bei seinen Leuten daheim Finanzdisziplin angemahnt hatte. Nun brodelt es nicht nur zu Hause, sondern auch auf der Strecke Paris – Brüssel. Die französischen Zeitungen breiten den Eklat genüsslich aus. Und der frühere sozialistische Premier Michel Rocard sagt: „Das ist unmöglich gegenüber unseren Partnern in der Eurozone: Wie immer verhalten sich die Franzosen arrogant, machen was sie wollen und halten sich nicht an die Verpflichtungen, die sie eingegangen sind.“

Seit ihrem überwältigenden Wahlsieg im Frühjahr 2002 versucht das konservative Duo Premier Raffarin und Staatspräsident Chirac, die Bedeutung des Stabilitätspakts, der ein maximales Defizit von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorsieht, herunterzuspielen. Wie gerufen kam bei diesem Manöver die neu belebte Freundschaft mit Deutschland, wo ebenfalls eine neue Defizitüberschreitung vor der Tür steht. Der einzige Unterschied: Berlin versucht zumindest, auf den richtigen Weg zu kommen, Paris versucht dies noch nicht einmal verbal. So äußerte Sozialminister Francois Fillon am Wochenende lapidar: „Der Platz Frankreichs in Europa definiert sich nicht über seine Haltung zum Stabilitätspakt.“ Die sozialistische Opposition wirft der Regierung nun Verantwortungslosigkeit vor und weist darauf hin, dass die Verschlechterung der Beziehungen mit Brüssel ein zu hoher Preis sei.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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