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Vor – und wieder zurück. Frankreichs Premier Jean-Marc Ayrault (l.) und Präsident François Hollande verschieben die Einführung der Lkw-Ökosteuer. Foto: Philippe Wojazer/Reuters

© REUTERS

Politik: Auf Schlingerkurs

Frankreichs Staatschef Hollande muss in der Steuerpolitik einen Rückzieher nach dem anderen machen.

Selten waren sich Frankreichs Politiker so einig. Getragen vom Schwung ökologischer Ideen und inspiriert vom Vorbild in Nachbarländern wie der Lkw-Maut in Deutschland, stimmte die Nationalversammlung 2008 mit überwältigender Mehrheit für eine Lkw-Ökosteuer. Wegen technischer Schwierigkeiten kam es vor dem Ende der Amtszeit des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy im vergangenen Jahr nicht mehr zur Einführung der neuen Steuer. Auch unter Sarkozys sozialistischem Nachfolger François Hollande musste sie mehrmals verschoben werden. Und jetzt hat Premierminister Jean-Marc Ayrault erneut einen Rückzieher gemacht: Nach gewalttätigen Demonstrationen in der Bretagne kündigte er eine neuerliche Verschiebung der Lkw-Ökosteuer an.

Eigentlich sollte die Steuer zum 1. Januar 2014 in Kraft treten. Sie soll für Lastwagen über 3,5 Tonnen erhoben werden, die auf bestimmten Straßen in Frankreich fahren. Mautpflichtige Autobahnen sind ausgenommen. Doch aus dem Plan wird vorerst nichts, nachdem bretonische Abgeordnete der sozialistischen Regierungspartei den Regierungschef gedrängt hatten, aus Rücksicht auf die ernste Wirtschaftslage in der Region die Einführung zu vertagen. Der Premierminister verteidigte seinen Rückzieher mit den Worten, dass aufgeschoben nicht aufgehoben sei. Trotzdem hinterließ seine Volte einen verheerenden Eindruck. Denn am Wochenende hatte er bereits Steuererhöhungen auf Sparverträge wieder streichen müssen, die sich Budgetexperten seiner Regierung zur Deckung des chronischen Haushaltsdefizits ausgedacht hatten. Zuvor hatte die Regierung nach Einsprüchen des Unternehmerverbandes Medef von Plänen Abstand genommen, eine neue Steuer auf Unternehmensgewinne einzuführen.

Frankreichs Regierung befinde sich „in der Sackgasse“, lautete das Fazit der Zeitung „Le Figaro“. Für das richtungslose Hin und Her machte „Le Monde“ den Staatschef Hollande verantwortlich. Er strahle keine Autorität aus, urteilte das Blatt. Nicht nur in der Steuerpolitik, auch in gesellschaftspolitischen Fragen wie dem Umgang mit den Roma streiten die Regierungsmitglieder öffentlich. Im September nährte Finanzminister Pierre Moscovici Zweifel an der Weisheit der Regierung, als er davor warnte, die Franzosen könnten von ihrer Steuerpolitik „die Schnauze voll“ haben. Hollande selbst trug zur Verwirrung bei, als er für 2014 eine „Steuerpause“ ankündigte, dann aber von seinem Regierungschef korrigiert wurde, davon könne frühestens erst 2015 die Rede sein.

Ökonomen wie der Direktor des Nationalen Forschungsrats CNRS, Elie Cohen, die 2012 Hollandes Kurs stützten, geißeln inzwischen die „mangelnde Kohärenz“ seiner Regierung. Statt einer klaren Linie verfolge sie nur das Ziel, Haushaltslöcher zu stopfen – und nährt damit weitere Proteste in der Bevölkerung. Am heutigen Donnerstag wollen die Präsidenten der französischen Fußballklubs sich im Elysée-Palast über die geplante Reichensteuer beschweren, die die Klubs für die Millionengehälter ihrer Ballartisten abführen sollen. „Wenn Hollande da nachgibt“, orakelte Cohen, „ist er erledigt.“

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