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Politik: Auffällig unauffällig

Ein Jahr Rot-Grün in Bremen: Nach anfänglichen Reformen stehen jetzt harte Einschnitte bevor

Heimliche Zuneigung hatten sie schon lange füreinander empfunden. Doch ihr „Ja“-Wort konnten sich Sozis und Ökos in Bremen erst geben, nachdem sich die SPD 2007 nach zwölf langen Jahren vom Bündnispartner CDU getrennt hatte. An diesem Sonntag wird die neue Koalition um Bürgermeister Jens Böhrnsen ein Jahr alt. Inzwischen sind die Flitterwochen längst den Strapazen des Beziehungsalltags gewichen.

Als derzeit einzige rot-grüne Landesregierung Deutschlands steht die Bremer Koalition unter besonderer Beobachtung. Sie profiliert sich vor allem dadurch, dass sie sich um mehr sozialen Ausgleich bemüht. Auch unter dem Druck der erstmals ins Parlament gewählten Linken beschloss sie, Hartz-IV-Empfänger nicht massenhaft zu Umzügen in billigere Wohnungen zu zwingen sowie für bedürftige Kita-Kinder kostenloses Mittagessen einzuführen. Irgendwann soll noch ein Sozialticket für den Nahverkehr folgen.

Auch auf nicht so kostenträchtigen Feldern hat Rot-Grün einige Duftmarken gesetzt: Bremen ist das erste Bundesland, das homosexuelle Lebenspartnerschaften im Beamtenrecht der Ehe gleichstellt, das Tierschutzvereinen ein Verbandsklagerecht zugesteht und das auf allen Autobahnen Tempo 120 eingeführt hat – Kunststück, bei gerade mal 60 Kilometern Netzlänge.

Mehr symbolisch, weil meist aussichtslos, sind gut gemeinte Bundesratsanträge für Mindestlohn, für mehr Homosexuellenrechte, für Hartz-IV-Kinderzuschläge und für die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Früher hieß es „Hessen vorn!“; heute könnte die Regierungsparole lauten: „Bremen vorn!“ Und angeblich schaut Rot-Grün immer auch auf die Folgen für künftige Generationen. „Bei uns heißt es nicht: Nach uns die Sintflut!“, meint die grüne Vize-Regierungschefin, Finanzsenatorin Karoline Linnert, die großen Wert auf Haushaltsdisziplin und transparente Entscheidungen legt.

Widersprüchlich agiert die Koalition in Sachen Bürgerbeteiligung: Rot-Grün will zwar Volksentscheide erleichtern, aber die Fünf-Prozent-Hürde fürs Bremerhavener Stadtparlament wieder einführen, die gerade erst vom Volk abgeschafft wurde. Und hochschulpolitisch propagiert das Bündnis zwar mehr Chancengleichheit, subventioniert aber weiterhin die private Elitehochschule „Jacobs University Bremen“. Relativ groß ist der Personalverschleiß der siebenköpfigen Regierung: Ein Senator in spe wollte erst gar nicht antreten, ein anderer – der legendäre Ex- Werder-Manager Willi Lemke – zog es vor, nach nur neun Monaten Rot-Grün als Sportbeauftragter zu den UN zu wechseln, und auch zwei Staatssekretäre wurden bereits abgelöst.

Auffällig unauffällig regiert Bürgermeister Böhrnsen. Anders als sein Vorgänger Henning Scherf neigt er nicht zu „Basta“-Worten und öffentlichkeitswirksamen Auftritten, sondern sucht eher im Stillen nach Konsens, was Kritiker ihm allerdings als Führungsschwäche auslegen. Die Zusammenarbeit beider Parteien laufe „ausgezeichnet“ und ohne „Ressort-Egoismus“, versicherten Böhrnsen und seine Stellvertreterin Linnert am Freitag in ihrer eigenen Jahresbilanz. Ein internes Grünen-Papier nennt die Kooperation „problemlos-solidarisch“. Aber manchmal gehe es auch „rumpelig-rüpelig“ zu. Im ersten Jahr knirschte es vor allem zwischen dem grünen Umweltsenator Reinhard Loske und Wirtschaftssenator Ralf Nagel (SPD) plus dessen Landesparteichef Uwe Beckmeyer – vor allem, als Loske einer Privatbahn den Zuschlag für das künftige Bremer S-Bahn-Netz erteilte und nicht der von den Sozialdemokraten favorisierten DB. Da unterstützte plötzlich sogar die CDU den grünen Umweltsenator.

Ein Vorbote für Schwarz-Grün wie in Hamburg? Wohl kaum. Auch die Bremer Grünen beobachten mit Spannung, welches Bündnismodell besser ankommt – aber mit der örtlichen CDU werden sie bisher nicht warm. Es geht also weiter mit Rot-Grün im extrem verschuldeten Stadtstaat. Aber der erste Schwung ist hin. Nach den anfänglichen Reformen stehen jetzt harte Einschnitte bevor, zum Beispiel der Abbau von fast tausend Stellen in den städtischen Kliniken. Und häufig schießt die einflussreiche Handelskammer quer. Sie findet es gar nicht nett, dass Rot-Grün die Wirtschaftsförderung von Zuschüssen auf Darlehen umgestellt hat. Aber nicht zuletzt dadurch ließ sich das kostenlose Kita-Mittagessen finanzieren.

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