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Update

Nachwahl in Birma gewonnen: Aung San Suu Kyi: "Ein Sieg des Volkes"

Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ist bei Nachwahlen in Birma ins Parlament eingezogen. Die langjährige Widerstandskämpferin begrüßte ihren Sieg, rief aber zur Besonnenheit auf.

Die Nationale Liga für Demokratie (NLD) der birmanischen Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi hat nach eigenen Angaben bei den Wahlen am Sonntag mindesten 43 der von ihr angestrebten 44 Mandate gewonnen. Ein Sprecher der Partei sagte am Montag, bei 43 Mandaten stehe der Sieg fest, das Ergebnis im Fall des letzten noch ausstehenden Mandats werde für den Nachmittag erwartet. Am Sonntag hatte die NLD bereits verkündet, Suu Kyi habe die Wahl in ihrem ländlichen Kreis Kawhmu klar mit 82 Prozent der Stimmen gewonnen und ziehe ins Parlament ein.

Suu Kyi begrüßte in einer Erklärung den „Sieg des Volkes“ und rief ihre Unterstützer auf, Ruhe zu bewahren und andere Parteien und Menschen nicht vor den Kopf zu stoßen. Tausende NLD-Anhänger hatten am Sonntag bis zum späten Abend vor dem Sitz der Partei in Rangun gejubelt und gefeiert.

Bei den Nachwahlen am Sonntag ging es um 45 Mandate: 37 im Unterhaus, sechs im Oberhaus und zwei in Regionalversammlungen. Die Sitze wurden frei, nachdem Abgeordnete nach der umstrittenen Wahl vom November 2010 in Regierungsämter wechselten. Die NLD bewarb sich um 44 der 45 Mandate. Das Wahlergebnis wird die breite Parlamentsmehrheit der birmanischen Führung allerdings nicht gefährden. Die Wahl gilt aber als wichtiger Test dafür, ob die Regierung ihre Reformen ernst meint.

Offizielle Ergebnisse der Nachwahl werden erst binnen einer Woche erwartet, es war aber damit gerechnet worden, dass die Parteien vorher Ergebnisse präsentieren. Es war Suu Kyis erste Kandidatur für einen Parlamentssitz. Sie saß zwischen 1990 und 2010 die meiste Zeit im Gefängnis oder stand unter Hausarrest. Die NLD hatte die Parlamentswahl 1990 gewonnen, doch verhinderte die Militärjunta damals die Regierungsübernahme der Partei.

Wie der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung die Wahl miterlebte.

Es ging nur um 45 Mandate – aber für das Ansehen Birmas und seiner Regierung ging es am Sonntag ums Ganze. Für die Verantwortlichen der Regierung in Naypidaw war die Nachwahl zum Parlament so etwas wie die Fahrkarte in die eigene Freiheit. Und die hängt zu einem großen Teil an der Ikone der Demokratiebewegung, Aung San Suu Kyi, die zum ersten Mal als Abgeordnete kandidieren konnte.

Auf großen Bildschirmen wurden die Ergebnisse gezeigt, die die Parteibeobachter hereintelefonierten, berichtete der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, dem Tagesspiegel telefonisch von der Party.

Welch ein Unterschied zum November 2010. Damals saß Suu Kyi noch in ihrem Haus in der University Avenue in Rangun in Arrest, die NLD hatte zwar noch ihre (überwachte) Zentrale nahe der Shwedagon-Pagode, aber die Partei gab es offiziell nicht mehr. Da ihre Chefin nicht antreten dürfte, hatte sie zum Boykott der sogenannten Wahlen aufgerufen. Einige Oppositionelle hatten dennoch kandidiert. Die Wahllokale waren damals aber alle abgeschirmt. Trotzdem drang beim Auszählen die Kunde hinaus, dass in vielen Wahllokalen die Opposition die Mehrheit geholt hatte. Wundersamerweise verwandelten sich die Stimmen auf dem Weg zur Wahlkommission in Voten für die vom Militär gegründete Partei USDP – obwohl ohnehin schon 25 Prozent der Sitze für Soldaten reserviert waren.

Ausländische Besucher waren 2010 nicht erlaubt, ausländische Journalisten schon gar nicht. Jeder Europäer in der Nähe eines Wahllokals wurde ausgiebig beäugt, einheimische Begleiter sofort zum Rapport bestellt. Und als eine Woche später Suu Kyi freigelassen wurde, kamen zwar sofort Tausende, um ihrer Heldin zu huldigen, aber alle hatten trotzdem Angst, verhaftet zu werden.

Diesmal hatte der Präsident, Ex-General und Ex-Premier Thein Sein, kurzfristig sogar internationale Wahlbeobachter eingeladen und öffentlich erklärt, alle Parteien müssten damit leben, wie das Volk entscheide, egal ob der eigene Kandidat gewinne oder verliere. Es gehe um faire und freie Wahlen.

Fair und frei war die Abstimmung am Sonntag offenbar nicht.

Fair und frei war die Abstimmung am Sonntag offenbar nicht, zumindest nicht überall. Suu Kyis Partei beklagte zum Beispiel, dass die Kästchen der NLD auf Wahlzetteln mit Wachs präpariert gewesen seien, so dass nachträglich ein dort gemachtes Kreuz leicht entfernt werden könnte. Löning hörte von einer NLD-Kandidatin im Shan-State allerdings, dass sie sich überall frei bewegen konnte: „Wenn es Unregelmäßigkeiten gab, müssen sie überprüft werden.“ Es sei ein gutes Zeichen, dass die Menschen Unregelmäßigkeiten meldeten. Gradmesser dafür, wie weit der ursprünglich vom Militär angestoßene Öffnungsprozess wirklich ist, wird sein, wie viele Wahlkreise die NLD holen konnte.

Moritz Kleine-Brockhoff von der Naumann-Stiftung sprach von einem „wichtigen Tag im Demokratieprozess“. Im Vergleich zu 2010 gebe es „drastische Fortschritte“. Wenn das offizielle Ergebnis das widerspiegele, was im Wahlkampf und am Sonntag zu sehen war, „sind die Standards weit vor denen anderer südostasiatischer Staaten“, sagte er dem Tagesspiegel telefonisch aus Rangun.

Mit dem Einzug der NLD ins Parlament beginnt nicht nur für Aung San Suu Kyi nach Jahrzehnten der Verfolgung und Demütigung eine neue Zeitrechnung. Auch der Umgang der Regierung und ihrer Partei mit den Neuen dort wird Indiz dafür sein, ob sich die Reformer durchsetzen, die die Welt seit einigen Monaten mit der unerwarteten Öffnung des Landes so überrascht haben. Wenn die Stimmen sich nicht wieder auf unerklärliche Weise ins Gegenteil verwandeln, wird die Regierung um Thein Sein nun eine Gegenleistung der internationalen Gemeinschaft erwarten. Denn sie hat viele Forderungen erfüllt: politische Gefangene freigelassen, mit ethnischen Rebellen Waffenruhen vereinbart, die Zensur gelockert, das Internet freigegeben.

Sollten die Ergebnisse das halten, was sie am Sonntag versprachen, sollte die EU nach Ansicht des Menschenrechtsbeauftragten Markus Löning „vom Strafen durch Sanktionen zur Politik der Unterstützung“ kommen und bei den Sanktionen einen „mutigen Schritt“ machen, um die Reformbewegung zu stärken. „Im Moment können wir wegen der Sanktionen nicht einmal Entwicklungshilfe leisten“, sagte Löning. (mit AFP)

Richard Licht

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