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Politik: Aus der Kiste der Vorurteile

ÖFFENTLICHER DIENST

Von Hermann Rudolph

Aufgeschoben ist hier wirklich nicht aufgehoben. Die Vertagung der Tarifgespräche im Öffentlichen Dienst auf die Vorweihnachtswoche wird die verhärteten Positionen nicht weichspülen, sondern eher verschärfen. Die erste Runde am Freitag hat ihre Unvereinbarkeit – Nullrunde auf der ArbeitgeberSeite, Drei-Prozent-Forderung bei den Arbeitnehmern – nur nochmals festgeklopft. Der Rest an Zuspitzung ergibt sich aus der Lage, in der der alljährliche Milliarden-Poker diesmal stattfindet. Sie ist, wie bekannt, dramatisch: Wahre Defizit- und Schuldenkrater in Bund, Ländern und Gemeinden, die Aussicht auf geringere verfügbare Einkünfte bei jedermann, also auch den Angehörigen des Öffentlichen Dienstes. Dazu der Druck einer zunehmend aggressiveren Verdrossenheit, die durchs Land schleicht.

Dabei sind Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst ohnedies eine der schwierigsten Umverteilungs-Operationen des Sozialstaates. Auf dem Tisch liegt ein kapitales Stück des Sozialprodukts – die Einkommen von rund drei Millionen Arbeitnehmern, für die verhandelt wird, dazu, qua Gewohnheit, die Gehälter der Beamten sowie einer ganze Phalanx von Verbänden und Diensten bis hin zu den Kirchen. Zugleich wird mit Bund, Ländern und Gemeinden das Stützgewebe des Staates belastet: Auf zwei Milliarden Euro beziffern die Arbeitgeber jeden Prozentpunkt, der ausgehandelt wird. Unter den gegenwärtigen Bedingungen – leere Kassen da, klamme Portemonnaies dort – ist so gut wie keine Rechnung vorstellbar, die aufgeht.

Auf ihren Auftritt warten deshalb nicht nur die alten Rituale, sondern auch die einschlägigen Vorurteile. Einerseits die Aktivierung der bekannten Animositäten gegen den Öffentlichen Dienst. Zumindest nach den ersten Warnstreiks wird sich wieder die Frage erheben: Brauchen wir ihn denn wirklich? Mit seinen Besonderheiten – der Unkündbarkeit, dem Zulagen-Wesen, den Pensionen? Ist er nicht doch ein Relikt einer vergangenen Zeit? Andererseits werden die Funktionäre in die Kiste der Ressentiments greifen. Verdi-Chef Bsirske hat schon den Anfang gemacht: mit der Attacke gegen den Vermögensteuer-Verzicht - Muster: Gräfin Gloria versus Müllmann - und der unverfrorenen Frage, ob denn etwa der Öffentliche Dienst für die verfehlte Politik der Regierung zahlen müsse.

Doch Gereiztheiten solchen Kalibers bringen die Debatte nicht weiter. Der Öffentliche Dienst fühlt sich zwar immer wieder angegriffen, aber er ist es nicht. Die endlose Debatte um eine Dienstrechtsreform belegt es: Sie geht, immer wieder, aus wie das Hornberger Schießen. An der Notwendigkeit des Öffenlichen Dienstes besteht in dem komplexen Rechts- und Verwaltungssystem, das die Bundesrepublik darstellt, kein ernst zu nehmender Zweifel. Und die Behauptung eines unzumutbaren Sonderopfers, mit der Verdi und Beamtenbund übers Land ziehen, bleibt abwegig: Sie fordert – bewusst oder unbewusst – eine Sonderrolle gegenüber denen ein, die als normale Arbeitnehmer ganz anders von den Krisen der Arbeitsgesellschaft bedroht sind als die öffentlichen Angestellten.

Das alles lenkt nur ab von dem eigentlichen Problem: von Zustand und Ausmaß der öffentlichen Aufgaben in der Bundesrepublik.. Was auch heißt: von der Ausweitung und Überregulierung des öffentlichen Bereichs. Mehr und mehr ist die Bundesrepublik zu einer bürokratisierten Demokratie geworden – von dem ÖTV/Verdi-Staat ganz zu schweigen, der fest die Souterrains (und manchmal auch die Beletagen) der Ämter und Behörden im Griff hat. Das alles mag einmal dem Sozialstaat genützt haben, aber jetzt lähmt es ihn, macht den Öffentlichen Dienst unpopulär - und zu bezahlen ist er auch nicht mehr. Hier gehen die Spielräume verloren, deren Fehlen die Tarifpartner jetzt in die Konfrontation treibt.

Vieles spricht dafür, dass uns mit dieser Tarifrunde eine Kraft- und Zerreißprobe ins Haus steht. Aber es ist nicht nur die finanzielle Misere von Bund, Ländern und Gemeinden, die dafür den Boden bereitet. Es sind auch seine Strukturprobleme. Der Tarifkonflikt habe damit nichts zu tun? Die Tarifpartner könnten etwas dafür tun, damit sie endlich angegangen werden: indem sie bei ihren Verhandlungen auf Vernunft setzten, statt durch Unvernunft das Klima zu vergiften, das Reformen brauchen.

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