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Kevin Rudd, australischer Außenminister

© Reuters

Australien: Außenminister Kevin Rudd: „Wir brauchen Europa auch in Asien“

Australiens Außenminister Kevin Rudd sieht dramatische Veränderungen der Weltordnung durch den Aufstieg Chinas.

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Herr Außenminister, ist Asien aus australischer Sicht mittlerweile die wichtigste Region der Welt, wichtiger noch als Europa

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Es geht doch nicht um ein Entweder- Oder, wir brauchen auch Europa. Wenn Sie die Entwicklung verstehen wollen, müssen Sie nur auf die ökonomischen Daten schauen, die überwältigend sind: China, Indien, Indonesien und damit ganz Asien werden das 21. Jahrhundert wirtschaftlich dominieren. Australien ist das einzige westliche Land in unmittelbarer Nachbarschaft dieser Region. Und es gibt im asiatisch-pazifischen Raum sehr viele ungelöste Sicherheitsprobleme. Wir engagieren uns sehr in Asien, haben aber gleichzeitig wichtige Partner in anderen Weltgegenden, an erster Stelle Amerika.

Präsident Obama hat entschieden, dass sich Amerika mit ganzer Kraft dem pazifisch-asiatischen Raum zuwenden wird. Stellen sich die Europäer genügend auf die Entwicklung Asiens ein?

Den Europäern dämmert allmählich, was passiert. Mein Kollege und Freund Guido Westerwelle hat es verstanden, dass weiß ich aus vielen Gespräche. Was den Rest von Europa angeht, so entwickelt sich das Verständnis für die Herausforderung langsam. Ich warne davor, dass Europa sich in der gegenwärtigen Schuldenkrise nun ganz auf sich selbst konzentriert. Wir brauchen ein international engagiertes und handlungsfähiges Europa, auch in Asien.

Muss sich Europa in Asien auch in Sicherheitsfragen engagieren?

Wir erleben einen völligen Umbau der internationalen Sicherheitsarchitektur. Zum ersten Mal seit 200 Jahren wird ein nicht demokratisches Land zur größten Wirtschaftsmacht der Erde aufsteigen. Das wird Auswirkungen auf die Weltordnung haben. In Europa wird der Aufstieg Chinas ausschließlich als wirtschaftliche Chance und Herausforderung gesehen. In Asien wird der Aufstieg Chinas auch als sicherheitspolitische Chance und Herausforderung gesehen. Die Europäer müssen verstehen: Jede Bedrohung der Sicherheit in Asien hat sofort schwerwiegende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Die Schockwellen dieser Entwicklung werden dann auch Europa treffen.

Was soll Europa zur Sicherheit in der Region beitragen – etwa Soldaten in Nordaus- tralien stationieren, wie dies die USA tun?

Moment! Wir sind seit 1941 Alliierte der Amerikaner. Das ist länger, als die Volksrepublik China existiert. Die Bedeutung des Abkommens mit den USA wird völlig übertrieben. Bisher waren jedes Jahr 1500 US-Marines drei Monate lang zum Training in Nordaustralien, in Zukunft werden jedes Jahr 2500 US-Marines kommen und bis zu einem halben Jahr lang bleiben. Nun zu Europa. China teilt unsere demokratischen Werte nicht, deshalb wird sein Aufstieg die neue Weltordnung ändern. Die Europäer gehen davon aus, dass die Welt im Grunde so bleibt, wie sie ist, und die westlichen Werte unveränderlich sind. Meine Botschaft an die Europäer lautet: Das wird nicht notwendigerweise so kommen. Stellt euch darauf ein, dass es auch anders sein kann.

Was konkret soll Europa tun?

Europa muss mit einer Stimme sprechen, es muss nicht nur Europa und Nordafrika in den Blick nehmen, sondern die Welt als Ganzes, darunter auch Asien. Wenn wir die außenpolitischen Versprechen der Europäer hören und gleichzeitig in Europa die Verteidigungsausgaben gekürzt werden, beschleicht uns eine gewisse Skepsis. Die Frage ist doch, ob die europäische Außen- und Sicherheitspolitik wirklich ernst gemeint ist, wenn ihr im Ernstfall die Mittel zum Handeln fehlen.

Wie kann Europa darüber hinaus zur Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum beitragen?

Es ist sinnvoll, im pazifisch-asiatischen Raum Strukturen gemeinsamer Sicherheit aufzubauen. Unsere europäischen Freunde könnten dabei helfen, sie haben nach dem Krieg Institutionen aufgebaut, die weit über bilaterale Beziehungen hinausgehen. Wir sind gerade erst dabei. Ein Beispiel: Zum ersten Mal in der Geschichte Asiens haben wir Ende 2011 mit dem Ostasiatischen Gipfel eine regionale Organisation ins Leben gerufen, die alle Partner umfasst, für alle Sicherheits- und Wirtschaftsfragen offen ist und sich jährlich zu Gipfeln treffen wird.

Was ist das Interesse Australiens an Deutschland?

Wir bauen unsere Beziehungen zur Europäischen Union, zu Frankreich und zu Deutschland aus. Deutschland ist auch ein wichtiger wirtschaftlicher Partner für uns. Australien ist eine Mittelmacht mit globalen Interessen. Wir halten Europa und sein Herz für entscheidend für die Zukunft der Welt. Deshalb haben wir auch die Entwicklung der Schuldenkrise sehr genau verfolgt. Was in Europa passiert, hat unmittelbare Auswirkungen auf uns.

Sie kennen Angela Merkel von vielen internationalen Treffen aus ihrer Zeit als Premierminister. Wann erwarten Sie die Kanzlerin zum Besuch in Australien?

Sie ist uns immer willkommen, gerne auch im laufenden Jahr.

Das Gespräch führten Hans Monath undStephan-Andreas Casdorff.

Kevin Rudd (54) ist seit 2010 Außenminister Australiens. Zuvor führte der Labor-Mann das Land drei Jahre lang als Premierminister. Aufsehen erregte seine Entschuldigung bei den Aborigines.

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