zum Hauptinhalt

Politik: Autokrat auf Urlaub

Marokkos Monarch erholt sich in Frankreich –  sein Cousin warnt vor Unruhen wie in Ägypten

Madrid - „Wir sind alle Ägypter“, rufen die Menschen. „Nieder mit der Diktatur, es lebe die Freiheit.“ In mehreren Städten Marokkos, etwa in Rabat, Fez und Tanger, flammten in den vergangenen Tagen Proteste gegen die große Armut im Land auf. Den Protestlern blieb wenig Zeit, ihre Meinung öffentlich zu machen: Die Polizei löste die Kundgebungen umgehend auf. Demonstrieren ist im Reich von König Mohammed VI. (47) nicht erwünscht. Kritische Berichterstattung auch nicht: Der TV-Sender Al Dschasira wurde bereits vor drei Monaten aus Marokko verbannt.

Der König, der sich gern als Reformer darstellt, aber in Wirklichkeit die Zügel stramm hält, scheint derweil nicht sehr besorgt zu sein: Als die Demonstranten in Ägypten auf die Straße gingen, flog zur Erholung in seine Luxusvilla nach Frankreich. Zum Aufruhr in der arabischen Welt äußerte er sich nicht. Mohammeds Cousin Moulay Hicham, der wegen seiner liberalen Einstellungen auch der „rote Prinz“ genannt wird und in der Königsfamilie als Nestbeschmutzer gilt, warnte vor einem Übergreifen der Unruhen: „Marokko wird wohl keine Ausnahme sein. Fast alle autokratischen Systeme werden durch die Protestwelle erreicht.“

Vier Selbstverbrennungen wurden in Marokko in den vergangenen Wochen bekannt. Allesamt von jungen Männern, die dem Beispiel des 26-jährigen Tunesiers Mohamed Bouazizi folgten, jenem verzweifelten Gemüsehändler, dessen Freitod die tunesische Revolution in Gang setzte. Die Behörden wiegelten diese Tragödien als „politisch nicht motivierte“ persönliche Schicksalsschläge ab.

Dabei hat Marokkos Jugend allen Grund verzweifelt zu sein: Ihr Land gilt als das ärmste Nordafrikas, die soziale Ungleichheit ist noch größer als in Tunesien oder Ägypten. Mindestens ein Viertel der Jungakademiker steht ohne Job da, etwa 20 Prozent der Marokkaner müssen mit weniger als einem Euro am Tag auskommen, mehr als 40 Prozent sind Analphabeten. König Mohammed, dessen Holding ONA viele wichtige Wirtschaftszweige beherrscht, schwimmt in einem vom Wirtschaftsmagazin Forbes geschätzten Privatvermögen von 2,5 Milliarden Dollar.

Doch Marokkos Herrscher wird in der Öffentlichkeit nicht kritisiert. Das wäre auch gefährlich, weil dies als „Majestätsbeleidigung“ verfolgt wird. Stattdessen schimpft das Volk der 32 Millionen Untertanen um so mehr über den Machtmissbrauch des „Makhzen“, der den Hof umgebenden Elite aus Beratern und Günstlingen. Die demokratische Fassade Marokkos ändert wenig an der Tatsache, dass Entscheidungen im Palast getroffen werden. Dort wird offenbar ungeniert die Hand aufgehalten: „Obwohl die korrupten Praktiken schon unter König Hassan existierten“, zitiert Wikileaks aus einem vertraulichen Bericht der US-Botschaft, „ist die Korruption unter Mohammed VI. noch weiter institutionalisiert worden.“

Sprengstoff gibt es jede Menge: Eine junge Generation ohne Hoffnung, die angesichts fehlender politischer und wirtschaftlicher Perspektiven von Europa träumt. Ein Erstarken der Islamisten, die vielleicht sogar Wahlen gewinnen könnten. Eine große Berber-Volksgruppe, Marokkos Urbevölkerung, die sich in der von den Arabern dominierten Gesellschaft benachteiligt fühlt. Und ein Konflikt in der von Marokko besetzten West-Sahara. Der Regimekritiker Aboubakr Jamai warnte jüngst: „Wenn Marokko in die Luft fliegt, dann wird die Revolution wegen der großen Schere zwischen Arm und Reich noch blutiger als in Tunesien.“ Ralph Schulze

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false