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Politik: Beim GUS-Treffen in Moskau spielt Russland seinen Bürgern noch einmal die Supermacht vor (Meinung)

Beachtenswert an diesem Gipfel in Moskau ist in erster Linie, dass er überhaupt noch stattfindet. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), 1991 als Auffanggesellschaft für die Restbestandteile der Sowjetunion gegründet, ist seit längerem klinisch tot.

Beachtenswert an diesem Gipfel in Moskau ist in erster Linie, dass er überhaupt noch stattfindet. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), 1991 als Auffanggesellschaft für die Restbestandteile der Sowjetunion gegründet, ist seit längerem klinisch tot. Beim letzten Gipfeltreffen im April brachten die zwölf Staats- und Regierungschefs nicht einmal eine gemeinsame Erklärung zustande.

Dennoch treffen sie sich heute wieder. Es fehlt ja auch nicht an existenziellen Herausforderungen. Den Tschetschenien-Konflikt wird Russland allein mit militärischen Mitteln nicht in den Griff bekommen. Gemeinsam mit den GUS-Nachbarn könnte es eine politische Lösung erarbeiten. Schließlich wird auch die Stabilität anderer ehemaliger Sowjetrepubliken von Süden her bedroht. Doch ein Konzept konstruktiver Zusammenarbeit ist vom GUS-Gipfel nicht zu erwarten. Bestenfalls wird es wohlfeile Absichtserklärungen geben, in denen die übrigen Staatsoberhäupter das Verhalten Russlands in der abtrünnigen Kaukasus-Region billigen.

Das Haupthindernis für ein wirkliches Funktionieren der GUS war von Anfang an Russlands Großmacht-Komplex. Er beherrscht nicht nur die Regierenden, sondern hat auch die Bevölkerung fest im Griff: Jüngsten Umfragen zufolge sehen zwei Drittel aller Russen ihr abgewirtschaftetes und hochverschuldetes Land weiterhin in der Rolle einer Supermacht.

Mit entsprechender Arroganz hat die russische Führung auch alle Vermittlungsversuche im Tschetschenien-Konflikt zurückgewiesen. Nicht nur die EU-Delegation wurde belehrt, dass Moskau ihrer Hilfe nicht bedürfe. Sondern auch der Präsident des GUS-Mitgliedes Georgien und frühere sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse war der russischen Führung keine Reaktion wert. Ihn hatte der gemäßigte tschetschenische Präsident Aslan Maschadow um Vermittlung gebeten. Bei dem derart ungeniert zur Schau gestellten Hochmut Russlands ist es leicht erklärlich, dass sich die meisten GUS-Republiken dem Bündnis gegenüber apathisch verhalten - und manche sogar keinen Hehl aus ihrer Sehnsucht nach anderen Partnerschaften machen.

Während des Kosovo-Konflikts wurde das Auseinanderfallen der moribunden Staatengesellschaft überdeutlich. Russland, Weißrussland und Kasachstan tadelten die USA als Weltpolizisten. Die Staatschefs Georgiens, der Ukraine, Usbekistans, Aserbaidschans und Moldawiens feierten gleichzeitig in Washington mit der Nato deren 50. Gründungstag. Die fünf Staaten haben sich zu einem eigenen Pakt zusammengeschlossen: der GUUAM - benannt nach den Anfangsbuchstaben der Länder. Seit 1992 existiert der Bund zentralasiatischer Staaten, eine lockere Konföderation Kasachstans, Usbekistans, Kirgisiens und Turkmeniens. Vermutlich wird in absehbarer Zeit von der GUS nur ein Dreierbund Russland-Weißrussland-Armenien übrigbleiben.

Politisch hat Russland seinen GUS-Partnern nichts zu bieten außer neoimperialistischer Bevormundung. Aber auch als wirtschaftliche Einheit hat die GUS nie funktioniert: Die Freihandelszone kam nie über das Projektstadium hinaus. Die Länder blockieren sich gegenseitig mit Zöllen, statt einen gemeinsamen Binnenmarkt mit 250 Millionen Menschen zu bilden. Jährlich schrumpft der Binnenhandel unter den GUS-Mitgliedern um zehn Prozent. Dass sich die zentralasiatischen Staaten mit ihren großen Erdöl- und Erdgasvorkommen in westlicher Richtung orientieren, ist verständlich. Nur die US-Ölkonzerne können die notwendigen Investitionen aufbringen.

So hat der GUS-Gipfel eigentlich nur eine Aufgabe: Russlands Führung kann dem eigenen Volk noch einmal die Großmachtrolle vorspielen. Der Preis für Tschetschenien wird da fast zur Nebensache. Unter hohen menschlichen Verlusten und dem Einsatz geliehener Gelder versucht die Supermacht, die keine mehr ist, einen Landstrich zu halten, der gerade einmal die Größe Mecklenburg-Vorpommerns hat.

Doris Heimann

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