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Eine Familie isst in einer Flüchtlingsunterkunft in Wau im Südsudan gemeinsam zu Mittag. Hunger und Armut müssen weltweit an ihren Ursachen bekämpft werden, fordern die Organisationen der "Civil20".

© Miguel Juarez Lugo/ZUMA Wire/dpa

"Civil20"-Summit: Bekämpft Korruption, Hunger und Gewalt

Internationale NGOs gehen vor dem Gipfel hart mit den G-20-Regierungen ins Gericht. Die Globalisierung lasse immer mehr Verlierer zurück und zerstöre ökologische Lebensgrundlagen.

Wenn die internationale Zivilgesellschaft ihre Stimme erhebt, dann hört auch die Bundeskanzlerin zu: Drei Wochen vor Beginn des G-20-Gipfels trafen sich in Hamburg rund 450 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus mehr als 60 Staaten zum „Civil-20“-Summit. Seit 2009 formieren sich die C20 jährlich, seit 2013 sind sie als offizielle Beteiligungsgruppe der G20 anerkannt. In Hamburg nutzten sie die Räume der HafenCity-Universität, um sich unter dem Motto „The World We Want“ („Die Welt, die wir wollen“) auszutauschen. Am zweiten Tag nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel das Abschlusskommuniqué entgegen, stellte sich einer Podiumsdiskussion und bedankte sich für das Engagement der NGOs.
Die deutsche G-20-Präsidentschaft hatte das Forum Umwelt & Entwicklung sowie den Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro) gebeten, diesen Begleitprozess zu organisieren. Die Gastgeber luden NGOs aus aller Welt zu sechsmonatigen Konsultationen ein.
„Die Situation für Nichtregierungsorganisationen ist in den vergangenen Jahren weltweit schwieriger geworden“, sagt Bernd Bornhorst, Vorstandsvorsitzender von Venro. In vielen Ländern könnten sie kaum noch unabhängig arbeiten. Die Bundesregierung sei aber mit gutem Beispiel vorangegangen und habe die Zivilgesellschaft stärker in den G-20-Prozess einbezogen als frühere Veranstalter. Merkel habe während der Podiumsdiskussion beim C-20-Summit einen „ehrlich interessierten“ Eindruck auf ihn gemacht.

"Die G20 sind ein exklusiver Club"

Dennoch gehen die C20 hart mit den großen Industrienationen und Schwellenländern ins Gericht. Die G20 seien ein exklusiver Club, der für sich selbst in Anspruch nehme, die Globalisierung zu gestalten, formuliert es Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung: „Da sagen wir: Ihr macht Euren Job schlecht.“ Die Politik der G-20-Regierungen habe eine kleine Gruppe von Menschen sehr reich gemacht, die meisten aber zurückgelassen.
Auch Bernd Bornhorst von Venro betont: „Die globale Handels-, Wirtschafts- und Finanzpolitik sollte sich an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und den darin festgeschriebenen 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung orientieren.“ Zu diesen zählen unter anderem, Armut zu beenden, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen und Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen.
Ihre Empfehlungen haben die NGOs in Arbeitsgruppen präzisiert. Das Ergebnis sind sieben detaillierte Positionspapiere und ein zusammenfassendes Kommuniqué. Darin setzen sie sich beispielsweise für das Klimaabkommen von Paris ein und fordern, schrittweise aus der Nutzung fossiler Brennstoffe auszusteigen, die Energieeffizienz in allen Bereichen zu erhöhen, die Abholzung der Wälder zu stoppen und die Ökosysteme zu schützen. Die C20 schlagen vor, die finanziellen und technischen Hilfen vor allem für arme Bevölkerungen und Staaten zu steigern und die Finanzmärkte mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung in Einklang zu bringen. „Wir dürfen nicht nur mit dem Finger auf US-Präsident Donald Trump zeigen“, warnt Jürgen Maier. „Auch bei uns kommt der Klimaschutz noch zu kurz.“
In ihrem Positionspapier zur Agrarindustrie betonen die Organisationen, wie wichtig eine nachhaltige Landwirtschaft sei und fordern die G20 auf, ihr Augenmerk stärker auf die kleinen Farmer zu lenken. Sie empfehlen den Staaten unter anderem, Subventionen gerechter zu verteilen.

Mehr Geld für Gesundheitsforschung und Entwicklung

Lob gibt es dafür, dass die deutsche Präsidentschaft das Thema Gesundheit auf die Agenda gesetzt hat. Die Organisationen betonen jedoch, dass dies in den kommenden Jahren beibehalten werden müsse. Denn globale Bedrohungen durch Pandemien und antibiotikaresistente Keime würden zunehmen. Besonders im Fall von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose sei das ein Problem. Die G-20-Staaten werden daher aufgefordert, mehr Geld in Forschung und Entwicklung zu investieren. Die NGOs sprechen sich außerdem für eine universelle Gesundheitsversorgung und eine bessere Unterstützung von Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus.
Daneben dringen die Experten auf eine Reform des internationalen Finanzsystems. Es gebe Lücken in der Regulierung, heißt es in ihrem Papier zum Thema. Sie empfehlen beispielsweise die Einführung einer Transaktionssteuer und weisen auf das Problem der Staatsverschuldung hin. Ziel müsse ein soziales und ökologisch nachhaltiges Finanzwesen sein. Die NGOs appellieren außerdem an die G20, Maßnahmen gegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Korruption zu ergreifen.
Auch verantwortungsvolle Investitionen und die Rolle des Privatsektors seien von Bedeutung für eine nachhaltige Wirtschaft. Für einen besseren Umweltschutz fordern die C20 von den Staaten, das Menschenrecht auf Wasser und den Zugang zu sanitären Anlagen zu sichern. Die Privatisierung dieses Sektors sehen sie kritisch. Wasser und Umwelt seien öffentliche Güter und keine Waren. Zudem ersuchen sie die G20, die Armut weltweit zu reduzieren, einen gerechten Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung zu ermöglichen sowie Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Insbesondere die Rechte von Frauen und Mädchen würden vielerorts noch von diskriminierenden sozialen Normen und Gewalt unterminiert.

„Wir wollen ein völlig anderes Wirtschaftsmodell“

„Wir wollen ein völlig anderes Wirtschaftsmodell“, sagt Bernd Bornhorst. Die G20 sollten sich abwenden von einer rein wachstumsorientierten Gestaltung der Globalisierung, die immer mehr Verlierer zurücklasse und die ökologischen Lebensgrundlagen zerstöre. „Wir brauchen eine Politik, die die wachsende Ungleichheit zwischen den Ländern und innerhalb der Länder stoppt, die weltweit Armut und Hunger an ihren Ursachen bekämpft und Gleichberechtigung fördert“, fordert der Venro- Vorstand. Ob und welche dieser Forderungen die G20 in ihre eigene Abschlusserklärung aufnehmen, ist ungewiss. Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung ist eher pessimistisch: „In den vergangenen Jahren lag dieser Anteil im Promillebereich.“ Es sei schon ein Fortschritt, wenn die G20 anerkennen, dass „es nicht mehr so weitergehen kann wie bisher“. Mit der Konferenz der Zivilgesellschaft im Juni habe man gezeigt, dass es Alternativen gebe und den eigenen Forderungen öffentlich Nachdruck verliehen.

Katja Müller

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