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Berlin-Wahl 2011: Künasts Kampfansage

Ihr Ehrgeiz ist groß, vermessen ist er nicht. Renate Künast hat sich aus kleinen Verhältnissen nach oben geschuftet. Jetzt soll es noch einen Schritt weiter gehen. Jetzt will sie erste grüne Länderchefin werden. In Berlin, wo sie nicht herkommt, aber hingehört

Von
  • Sabine Beikler
  • Hans Monath

Sie klatschen schon heftig und laut, als Renate Künast, Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, gerade erst ans Pult tritt. „Ich hab’ ja noch gar nichts gesagt“, beschwichtigt sie. Doch jeder der rund 900 Anhänger der Ökopartei im Lichthof des Museums für Kommunikation in Berlin-Mitte weiß schon vor Beginn dieser Rede, dass er an diesem Abend einen historischen Moment der Parteigeschichte erlebt. Zum ersten Mal beanspruchen die Grünen das Amt eines Ministerpräsidenten. Renate Künast ist hier, um zu verkünden, dass sie Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden will.

Es ist eine feine Ironie, dass die Grünen-Politikerin diesen Anspruch in einem Museum verkündet, das gerade eine Ausstellung über Gerüchte zeigt. Seit Wochen war ja gerüchteweise bekannt, dass die 54-Jährige in Berlin nach der Macht greifen will. Doch sie selbst schwieg dazu. Nun machen schon ihre ersten Sätze klar, dass es ihr um das Ganze geht, um ein neue Vision der Hauptstadt. Während Künast an diesem Ort bildungsbürgerlicher Repräsentation spricht, wird aus den Gerüchten Gewissheit.

Aufbruch. Das Wort bemüht Renate Künast zu Beginn ihrer Rede gleich mehrfach. Da wirkt sie noch befangen, scheint den Druck zu spüren. Aber allmählich redet sie sich frei. Von ungeheuren Potenzialen Berlins spricht sie, die blockiert würden. Von der Einladung an alle, die Stadt voranzubringen. Nur von Renate Künast spricht sie wenig. Dabei ist es doch sie selbst, ist es ihre Geschichte, sind es ihre Eigenschaften, die sie in diese Position geführt haben, in der ihr Anspruch auf das Rote Rathaus keineswegs vermessen wirkt. Laut den Umfragen könnten die Grünen bei der Wahl im September 2011 stärkste Kraft werden.

„Meine wenigen Damen! Meine zahlreichen Herren!“ So begann Renate Künast 1985 ihre erste Rede im Berliner Abgeordnetenhaus. Von heute aus betrachtet wirken diese beiden Begrüßungssätze wie eine Kampfansage an die Männerwelt der Politik.

Zurücksetzung ist dabei eine Art Urerfahrung im Leben von Renate Elly Künast, der Tochter eines Kfz-Mechanikers und späteren Chauffeurs sowie einer Hilfskrankenschwester. Ermutigung erfuhr sie zu Hause in Recklinghausen wenig, so hat sie später selbst berichtet. Der Vater jedenfalls war der Ansicht, dass das Abitur nicht infrage komme und Renate mit einem Hauptschulabschluss gut bedient sei, sie werde ja ohnehin bald heiraten. Dagegen wehrte sich die Tochter, ihre Mutter und auch eine Lehrerin unterstützten sie. Und am Ende durfte Renate Künast die Schule weiter besuchen. Danach studierte sie sogar noch, Jura, und zog nach West-Berlin, von dem es in einem Blumfeld-Song heißt, dass „die Leute hier aus Heimweh hinziehen“. Im alternativen Milieu fand sie ihre Heimat, blieb dem nah, geheiratet hat sie ihren langjährigen Lebensgefährten bis heute nicht.

Kämpfen, Widerstände überwinden, auch wenn es alle Kraft kostet, und am Ende den Sieg davontragen, dieses Muster bestimmt das Leben von Künast bis heute. So war es im Elternhaus, so ist es in der Politik.

Ziemlich genau vor 20 Jahren hat Renate Künast schon einmal eine bedeutende Rolle in der Berliner Landespolitik gespielt: Als Fraktionsvorsitzende der Alternativen Liste überbrachte sie der SPD am 16. November 1990 im Rathaus Schöneberg die Kündigung der damaligen Koalition. 610 Tage hatten es AL und SPD bis dahin miteinander ausgehalten. Gestritten wurde über fast alles, und immer wieder hatte Künast mit dem Ende der Koalition gedroht. Als dann am Morgen des 14. November der damalige Innensenator Erich Pätzold die Berliner Polizei ein Dutzend besetzte Häuser in der Mainzer Straße in Friedrichshain räumen ließ, ohne dass die AL darüber zuvor informiert worden war, stieg die AL aus. Bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl waren es da ohnehin nur noch 17 Tage. Am Ende triumphierte Eberhard Diepgen. Die SPD regierte weiter mit, als kleinerer Koalitionspartner. Künast war draußen und zu Höherem berufen.

Lange hat sie sich danach in der Landespolitik nicht mehr blicken lassen. Als Bundespolitikerin erwarb sie sich den Ruf einer streitbaren Pragmatikerin. Die Regierungsumbildung von Kanzler Gerhard Schröder und Vizekanzler Joschka Fischer katapultierte die Bundesvorsitzende der Grünen im Januar 2001 ins Bundeskabinett. Sie übernahm das Landwirtschaftsministerium, das der Städterin bis dahin denkbar fremd war. Doch wieder behauptete sie sich in feindlicher Umgebung, schuf aus dem Lobby-Ressort für die Interessen der deutschen Agrarindustrie ein neues Verbraucherministerium.

Gern erzählte die Grünen-Politikerin später von ihrem ersten Auftritt vor einem Bauerntag: Die wütenden Landwirte tobten gegen die „Agrarwende“, doch die Neu-Ministerin blieb trotz ohrenbetäubenden Lärms standhaft und brachte ihre Rede zu Ende. Wo es Widerstand gibt, so lautete die Botschaft dieser Künast-Erzählung, werde ich stärker.

Der Widerstand kam auch aus dem Ministerium selbst. Von „Taliban“ wurde in Künasts Umgebung damals mit Blick auf führende Ministerialbeamte gesprochen, die den neuen Kurs angeblich sabotierten. Doch der Umbau gelang, der Zuschnitt des Ministeriums besteht bis heute fort – auch unter Schwarz-Gelb. So planmäßig Künast den Umbau ihres Ressorts damals organisierte, so planlos erscheint sie manchmal, wenn es um das Erklären der großen Linien der Politik geht. Empfängt sie zum Interview, läuft es oft so ab: Sie redet schnell, sie redet viel, an Einfällen mangelt es nicht. Aber die vielen Gedanken und Ideen fügen sich selten zu einem schlüssigen Ganzen. Wie Gerhard Schröder ist Künast eine Politikerin, die instinktiv Situationen erfasst und schnell reagiert. Gedankliche Ordnung ist nicht immer ihre Stärke.

Es gibt bei den Grünen viele Geschichten darüber, wie schwer es ihr zuweilen fällt, sich klar auszudrücken. Ihr früherer Ko-Vorsitzender Fritz Kuhn soll nach einer Besprechung laut ausgerufen haben: „Ich verstehe sie nicht!“ Und im Berliner Landesparlament, wo sie das politische Geschäft gelernt hat, erinnern sich viele noch heute an ihre erste Rede in der Haushaltsdebatte im Jahr 1998.

Die hatte bis dahin für die Grünen immer der scharfzüngige Rechtsanwalt Wolfgang Wieland gehalten. Es war der Höhepunkt der parlamentarischen Debatte, wenn Wieland die regierende CDU vorführte. Künast blieb dahinter weit zurück. Und alle konnten es hören. Aus dem Plenum schallte ihr der Ruf entgegen: „Wieeeland, Wieeeland.“ Doch die Grüne redete weiter. Es war ein furchtbar peinlicher Moment. Aber sie kämpfte sich durch. Inzwischen ist sie die mit weitem Abstand beliebteste Grünen-Politikerin der Republik. Und man fragt sich, wie das passieren konnte.

Es kommt den Menschen womöglich nicht so sehr darauf an, was Künast im Einzelnen sagt und wie stringent sie ihre Botschaft formuliert. Es geht um etwas ganz anderes, etwas, das man nicht mit einer Rede und vielen scharfsinnigen Konzepten schaffen kann, sondern nur mit der eigenen Person und der eigenen Geschichte. Es geht um Authentizität und Glaubwürdigkeit.

Künast wirkt echt, so echt wie kaum ein anderer Grünen-Politiker seit Joschka Fischer. Wie einst Fischer tritt sie gern mit nonkonformistischem Gestus auf, unangepasst, selbstbewusst, burschikos, frech. Sie lacht nicht über falsche Witze, versteckt ihren Argwohn nicht. Das kommt an, sogar bei Amtsinhaber Klaus Wowereit. Er begrüßte kürzlich, dass Künast wieder in die Landespolitik komme und fügte stichelnd hinzu: „Aber wenn sie antritt, dann ohne Wenn und Aber.“ Es ist Künasts weiche Stelle, dass sie in Berlin antritt mit einer Rückfahrkarte in die Bundespolitik. Nur im Fall einer Wahl zur Regierenden Bürgermeisterin will sie ihr Amt als Fraktionschefin im Bundestag aufgeben, so heißt es in der Partei. Als Senatorin oder Oppositionsführerin will sie nicht zur Verfügung stehen.

Im Museum für Kommunikation nickt Renate Künast immer häufiger wie zur Selbstbekräftigung, wenn der Applaus sie zur Pause zwingt. Und die Grünen applaudieren viel an diesem Abend. Nach 55 Minuten spricht sie aus, was alle von ihr hören wollen: „Ich bin bereit. Ich kandidiere für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin.“ Da ist sie dann endlich, ihre Kampfansage.

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