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Politik: Bestraft genug

Die Anwälte von Polizeivize Daschner fordern Freispruch – und den Bruch mit dem „Tabu der Folter“

Für einen Augenblick klingt es, als breche dem Verteidiger die Stimme, als er von seinen Unterlagen aufsieht, aber das mag am Mikrofon liegen. „Wir alle haben Herrn Daschner jetzt einige Zeit hier erlebt. Sie können sich selbst ein Bild davon machen, wie er sich verändert hat.“ Der Polizeibeamte senkt den Blick. „Ich kenne ihn von früher“, sagt Eckart Hild, „Wolfgang Daschner ist ein gebrochener Mann. Er steht vor dem Ende, hat keine Reputation mehr. Sein Lebenswerk ist zerstört. Man könnte sagen: Er ist bestraft genug.“ Weitgehend reglos hat der 61-jährige Vizepolizeipräsident den Prozess vor der 27. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt verfolgt, in dem ihm die Staatsanwaltschaft Verleitung zur Nötigung im besonders schweren Fall vorwirft. Das Urteil gegen ihn und den mit angeklagten Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit wird für kommenden Montag erwartet.

Freispruch forderten am Donnerstag in ihren Plädoyers alle drei Verteidiger für die beiden Angeklagten. „Hohes Gericht, es gibt keine dunklen Räume, es gibt auch keine Türen, die einen Spalt breit offen stehen“, stellte Hild an den Anfang seiner Rede. Vor dem Hintergrund des Luftsicherheitsgesetzes und des so genannten finalen Rettungsschusses müsse überlegt werden, ob die Menschenwürde als Grundrecht in Ausnahmefällen nicht doch einer Abwägung zugänglich sei. Hild: „Es ist nicht mehr alles unantastbar.“

Abzuwägen sei allerdings nicht die Menschenwürde des Tatverdächtigen gegen das Recht auf Leben des Opfers, sondern vielmehr die Würde des einen gegen die Würde des anderen. Daschner habe „in einer für ihn erstmalig und einmalig ausweglosen Situation“ versucht, den „andauernden Angriff auf die Würde und das Leben Jakob von Metzlers“ zu beenden. Hätte der damalige Frankfurter Vizepolizeipräsident am Morgen des 1. Oktober 2002 nicht angeordnet, dem tatverdächtigen Magnus Gäfgen mit Schmerzen zu drohen, um den Aufenthaltsort des entführten Kindes in Erfahrung zu bringen, hätte sich Daschner nach Auffassung Hilds der Tötung durch Unterlassen strafbar machen können.

Sollte das Gericht dennoch der Auffassung sein, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen Gäfgen rechtswidrig ist, habe sich sein Mandant in einem Verbotsirrtum befunden, so Hild, nachdem bei einem Telefongespräch dessen „unmittelbare Vorgesetzte“, die weiterhin namenlos bleiben, „keinerlei Einwände erhoben“ hätten. Daschner sei davon überzeugt gewesen, dass sein Handeln „zwingend notwendig und gerechtfertigt war“. Hild rief das Gericht dazu auf, keine Angst vor Zeitungsüberschriften zu haben, die lauten: „Folter in Deutschland erlaubt – Daschner ist freigesprochen worden.“

Wie zuvor sein Kollege Hild sprach sich auch Rechtsanwalt Wolfgang Steinke dafür aus, dass sich Polizeibeamte auf Notrechte berufen können. Es sei „absurd“, wenn im Fall, dass ein privates Sicherheitsunternehmen die Eltern des Kindes beraten und betreut hätte, die Androhung von Gewalt durch einen Mitarbeiter „wohl ungestraft geblieben wäre“. Das „Tabu der Folter“ verliere in der Diskussion zunehmend an zwingender Kraft. „Diejenigen, die schriftlich über die Zulässigkeit von Zwang nachdenken, vertreten noch eine Minderheitsmeinung“, erklärte Steinke, „allerdings scheint sich das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit derzeit zu verschieben“. Die Frage sei, „ob uns die Rechte von Terroristen wichtiger sind als die der Opfer“.

Karin Ceballos Betancur[Frankfurt am Main]

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