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Politik: Bilder vom Tod

Von Christiane Peitz

Bring mir den Kopf des Tyrannen. Es ist ein uraltes, archaisches Bild: der gehängte Verbrecher, der enthauptete Mörder, die Phalanx der aufgespießten Köpfe auf der London-Bridge, damals, zu Shakespeares Zeiten. Ja, selbst die Berliner „Idomeneo“-Inszenierung erinnert an dieses Grauen. Und die Meute auf dem Marktplatz bejubelt das Handwerk des Henkers. Die öffentliche Hinrichtung diente einst der Wahrheit und der Abschreckung, zum Zweck der Zivilisierung des Volkes. Seht her, der Hochverräter ist tot. Seht her, das geschieht jedem, der Böses tut. Bis heute werden Hinrichtungen in den USA vor Augenzeugen durchgeführt. Nicht wegen der Schaulust, sondern der leicht paradoxen Logik folgend, dass die Zeugen für eine möglichst humane Vollstreckung der Todesstrafe garantieren sollen.

Das Handy-Video von Saddams Hirichtung dient anderen Zwecken. Wer es im Internet betrachtet, bezeugt nicht die Tatsache des Tyrannentodes. So mancher Youtube-Nutzer bezweifelt im Gegenteil die Echtheit der Bilder, gerade weil sie im Netz stehen. Alles so virtuell hier – und Saddams Ende womöglich ein fake.

Diese Bilder schrecken nicht ab. Vielmehr nehmen sie den Prozess der Zivilisation zurück, der die Wucht der Bilder in die gewichtigen Worte des Strafgesetzbuchs überträgt. Ein Beamter, der mit seinem Mobiltelefon eine juristisch ohnehin nicht einwandfreie Hinrichtung filmt, übernimmt die Gepflogenheiten eines Unrechtsregimes. Seine Aufnahmen befördern nicht eine zivilisiertere, menschlichere Gesellschaft im Irak, die die Würde auch des Unmenschen wahrt, sondern produzieren noch mehr Hass und Rachsucht zwischen den zerstrittenen Bevölkerungsgruppen. Und so mancher anonyme Internet-Nutzer erlebt den Kick des Halb- und Illegalen. Youtube ist die angesagte Adresse dieser Tage, Youtube ist Kult und verwandelt den Diktator aus Bagdad posthum in eine Kultfigur.

Bilder vom Tod. Sie sind das letzte, das größte Tabu. Im Angesicht des Todes ist der Mensch vollkommen wehrlos, nackter als nackt. Der Augenblick des Sterbens ist unser intimster Moment. Weil die Würde des Menschen unantastbar und unteilbar bleibt, verzichten wir auf die öffentliche Darstellung dieses Moments und zeigen den Gangster mit Strick um den Hals höchstens im Western. Ob Opfer oder Täter: Keine echten Toten, lautet die ungeschriebene TV-Regel. Deshalb ist die Kriegsleiche in der „Tagesschau“ meist ein Körper unter einem Tuch, nur schemenhaft zu erkennen. Und deshalb zeigen manche Medien zwar letzte Bilder von Saddam, sparen die Minute der Hinrichtung jedoch aus.

Spiel mir das Lied vom Tod: Wenn es um reale Figuren geht, verbietet sich die Todesszene sogar als Fiktion – selbst Hitler stirbt in „Der Untergang“ im Off. Seit der Hinrichtung des rumänischen Diktators Ceausescu zeigen die halbwegs seriösen Medien auch sterbende Tyrannen nicht mehr. Der Respekt vor dem Tod ist allen Religionen, allen Kulturen gemein.

Spätestens seit 9/11, jenem Tag, an dem sich der Terrorismus der Bilder bemächtigte, wird immer wieder neu über die Grenzen des Zeigbaren diskutiert – weil auch Bilder terrorisieren können. So gilt es mittlerweile als fragwürdig, die Aufnahmen zu zeigen, auf denen Menschen aus den Twin Towers in den Tod stürzen. Denn man sieht Sterbende, und sei es aus noch so großer Entfernung. Ebenso man hat sich darauf verständigt, dass die Folteropfer von Abu Ghraib erneut erniedrigt werden, wenn man die von ihren Peinigern geschossenen Fotos und Filme bedenkenlos öffentlich macht.

Wer aber behauptet, das kaum zu kontrollierende Internet sei per se gewalt- und hassfördernd, der verwechselt Ursache und Wirkung. Das Saddam-Video würde in seiner Kultform nicht existieren, wenn es bei der Hinrichtung mit rechtsstaatlichen Dingen zugegangen wäre. Mit der Macht des Internets ist es wie mit der Macht der Bilder. Das Netz ist ein Segen: als Kommunikationsmittel für alle, besonders in Ländern ohne Meinungsfreiheit. Das Netz ist ein Fluch: als Tummelplatz für Voyeure, als Aufputschmittel für Gewaltbereite. Ob es Freiheit und Demokratie befördert oder nicht, entscheiden jene, die es benutzen.

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