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Politik: Bitter Orange

Von Sebastian Bickerich

So werden Dramen gemacht. Kiew, 3. August, weit nach Mitternacht: Viktor Juschtschenko, der Held der orangenen Revolution, vom Gift seiner Widersacher entstellt, ernennt Viktor Janukowitsch zum Ministerpräsidenten der Ukraine – jenen Mann, der Wahlen fälschen ließ und den die Revolution 2004 unter dem Beifall Europas aus dem Amt getrieben hatte.

Jetzt blieb dem Präsidenten kein Ausweg mehr, wollte er nicht Neuwahlen riskieren und den letzten Rest seines Vermächtnisses opfern: seiner Revolution, die das größte Land Europas öffnen sollte nach Westen, die Hoffnungen weckte auf wirtschaftlichen Aufschwung, auf ein Ende von Korruption und Gängelung durch Russland. Es war auch eine Revolution, die viele Deutsche erstmals seit langer Zeit wieder auf ein Land hatte blicken lassen, dessen Metropolen und Landschaften, dessen Menschen und Kultur zu Mitteleuropa gehören wie Wien, Prag oder Krakau.

Janukowitschs Ernennung ist der vorläufig letzte Akt in einem Trauerspiel, das gezeigt hat, wie wenig reif die Politiker in der Ukraine für demokratische Umgangsformen und Berechenbarkeit sind. Das gilt besonders für die orangenen Kräfte, die von Europa voreilig als „reformorientiert“ gelobt worden waren. Anstatt nach den Wahlen im März eine tragfähige Regierung zu bilden, verzettelten sich Juschtschenko und seine Konkurrentin Julia Timoschenko in Dauerintrigen. Juschtschenko kann sich bis heute nicht mit dem Votum der Wähler abfinden, die seine Partei Unsere Ukraine auf den dritten Platz hatten sacken lassen. Dabei hatte sie die Wahl nicht nur demokratisch, sondern auch zu Recht verloren. Nicht zuletzt wegen des Dauergezeters der Koalitionspartner ging das Wirtschaftswachstum zurück, verschlechterten sich die Lebensbedingungen, blüht der Schwarzmarkt. Der Streit um die Gaspreise mit Russland und die halbherzige Unterstützung aus Europa kamen hinzu. Am Ende wirkte Juschtschenko wie ein Alleingelassener, dem das Lebenswerk zu zerfallen drohte.

Nun also ist wieder Janukowitsch am Zug. Die Freude könnte groß sein in Moskau, mit ihm einen Politiker zum Partner zu haben, der aus dem Osten der historisch geteilten Ukraine kommt, dem russisch dominierten Donbass-Becken mit seinen Kohle- und Stahlbaronen. Vor zwei Jahren war er nach der mit Moskaus Hilfe gefälschten Wahl beinahe Präsident geworden. Dreht dieser Mann, vor ein paar Jahren wegen einer Prügelei verurteilt, jetzt mit aller Macht das Rad der Demokratisierung zurück? Ist die orangene Revolution endgültig gescheitert?

Es ist eine bittere Ironie, dass nun ausgerechnet Janukowitsch dazu verdammt sein wird, den Weg der Revolution fortzuführen. Noch sind nicht alle Details der Vereinbarung mit Juschtschenko bekannt. Auch das angekündigte Referendum über einen Beitritt zur Nato birgt Stoff für harten innenpolitischen Streit. Doch an den Zielen der Revolution wird er in Grundzügen festhalten müssen, dazu hat er sich verpflichtet, daran ist er gebunden. Im Wahlkampf hat er gezeigt, dass er durchsetzungsfähig ist, anders als der Zauderer Juschtschenko. Und von Russland will er sich emanzipieren, damit hat Janukowitsch schon vor den Wahlen geworben.

Der Kompromiss der Nacht von Kiew könnte ein historischer sein für die Überwindung der Spaltung des Landes. Und nicht nur Europa, auch die ukrainische Gesellschaft selbst wird einen Rückfall in weißrussische Verhältnisse nicht dulden.

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