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Politik: Blutiger Ramadan

In Bagdad beginnt der Fastenmonat mit Anschlägen – die Iraker vermuten auch Ausländer als Urheber

„Das waren keine Iraker! Das waren keine Iraker!“, stammelt der verstörte Mann vor der mit Stacheldraht hermetisch abgeriegelten Rot-Kreuz-Zentrale im Osten Bagdads, während Sanitäter Leichen und Verletzte bergen und Hubschrauber über dem Tatort donnern. „Was haben Iraker denn im Krieg gemacht? Ihre Waffen weggeworfen und sich versteckt! Wir sind keine Selbstmordattentäter, so etwas tun wir nicht!“ Und Khalida Toma, eine geschockte Rot-Kreuz-Mitarbeiterin, hinkt weinend nach draußen und sagt nur voll Bitterkeit: „Das war unser Ramadan-Geschenk.“

Dieser Montag, an dem durch fünf Anschläge 42 Menschen starben und mehr als 220 verletzt wurden, war Beginn des Fasten- und Feiermonats Ramadan. Die US-Verwaltung hatte die Ausgangssperre aufgehoben, und die Iraker freuten sich, dass die Kriminalität nachlassen würde. Denn den religiösen Vorschriften zufolge muss der Ramadan ein besonders friedlicher Monat sein. Zum Gebot des Fastens gehört nicht nur der Verzicht auf Essen und Trinken vom Morgengrauen bis zur Dämmerung. Es gilt auch: Wer stiehlt, macht sich in dieser Zeit doppelt schuldig.

Nun herrscht eine schizophrene Stimmung in der Fünf-Millionen-Stadt, zwischen Furcht, Entsetzen und Festmahlvorbereitungen diskutieren die Menschen, wer hinter den Anschlägen stecken kann. Außer dem Hauptquartier des Roten Kreuzes, vor dem ein irakischer Krankenwagen explodierte, wurden drei Polizeiwachen getroffen. Zudem gab es eine Mörserattacke auf das von den Amerikanern wiedereröffnete Zentralgefängnis von Abu Ghreib im Westen der Stadt. Und am Vorabend wurde das am besten gesicherte Gelände der Stadt getroffen: das Hauptquartier der US-Zivilverwaltung im ehemaligen Palast von Saddam Hussein. Weil die Anschläge nicht eine Handschrift tragen, sind viele Iraker der Meinung, dass sie verschiedene Urheber haben. Ein Geschäftsmann sagt: „Wenn es Anschläge mit Fernzündern sind wie auf das Raschid-Hotel, stecken Iraker dahinter. Selbstmordanschläge aber begehen Ausländer.“

Es gibt nicht nur eine organisierte Front des Widerstands gegen die Besatzer, sondern Dutzende Milizen, Splittergruppen, Terrorzellen mit unterschiedlichen Zielen: Saddams Günstlinge, die, mit Geld und Waffen im Übermaß ausgerüstet, ihren Krieg gegen die Amerikaner führen. Schiitische Milizen, die sich in Machtkämpfen gegenseitig umbringen. Und radikale sunnitische Gruppen, die Verbindungen zu Al Qaida haben sollen, auf jeden Fall aber denselben Heiligen Krieg führen. Und für die Kämpfer in diesem Dschihad stellt weder Ramadan ein Hindernis dar, noch, dass das Rote Kreuz auf jeden bewaffneten Schutz verzichtete, um nicht als Teil der Besatzungsmacht wahrgenommen zu werden.

Und so haben die USA jetzt jenen Krieg gegen den Terror, den sie mit ihrer Invasion vermeiden wollten. Über die schlecht gesicherten Grenzen sickern aus Saudi-Arabien und Syrien Hunderte von Kämpfern ein – das musste selbst US-Zivilverwalter Paul Bremer kürzlich einräumen.

Susanne Fischer[Bagdad]

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