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BND-Skandal: "Regierung Kabuls komplett beobachtet"

Experten sagen: Die USA und die Briten kennen bei der Spionage kein Tabu. Der Bundesnachrichtendienst soll das ganze Ministerium infiltriert haben. Steinmeier bedauert indes den Lauschangriff des BND.

Von Frank Jansen

Deutschland bemüht sich nach der Überwachung eines afghanischen Ministers durch den Bundesnachrichtendienst (BND) um eine Rückkehr zu normalen Beziehungen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte am Samstag in einem Telefonat mit seinem afghanischen Kollegen Rangin Dadfar-Spanta „Bedauern“ über die Ausforschung der E-Mails. Kabul entgegnete, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen dürfe. Die Affäre belastet weiterhin auch BND-Präsident Ernst Uhrlau. Gleichzeitig wurde bekannt, dass die Überwachung des Handelsministers Amin Farhang durch den BND umfangreicher war, als bisher bekannt geworden ist – und doch nur eine Randerscheinung im Vergleich zu den Aktivitäten amerikanischer und britischer Geheimdienste.

Die Regierungen in Afghanistan und im Irak würden von der CIA, weiteren US-Diensten sowie dem britischen Secret Intelligence Service „komplett beobachtet“, sagten mehrere Sicherheitsexperten dem Tagesspiegel am Sonntag. Es gebe in diesem Bereich „kein Tabu“. Selbst Minister und andere Beamte der Regierungen in Kabul und Bagdad würden nicht nur technisch überwacht, sondern im Einzelfall auch observiert. Anlass sind Erkenntnisse westlicher Geheimdienste über Verbindungen von Rebellen und unpolitischen Kriminellen zu staatlichen Apparaten in Afghanistan und im Irak sowie über Korruption in den Behörden.

Als brisant, aber notwendig gilt die Beobachtung von Mitgliedern der Familie des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Mindestens ein Bruder unterhalte, „um es freundlich zu formulieren, Kontakte zu Drogenbaronen“, sagte ein Sicherheitsexperte. Es sei klar, dass die Regierung Karsai nur wenig Interesse habe, die Produktion von Rohopium zu bremsen. Sie stieg von 6100 Tonnen 2006 auf 8200 Tonnen 2007. Afghanistan deckt damit 93 Prozent des Weltmarktes ab. Das Drogenproblem sei mit dem Terrorismus verknüpft, sagte ein Experte. Die Taliban finanzieren sich nach Schätzungen des US-Außenministeriums zu 50 Prozent aus dem Handel mit Rohopium. Bei Kontakten aus dem Regierungsumfeld zu Drogenbaronen seien die Taliban nicht weit.

Nach Informationen des „Spiegel“ soll der BND nicht nur den E-Mail-Account von Farhang und damit die Kommunikation mit der „Spiegel“-Reporterin Susanne Koelbl, infiltriert haben, sondern das ganze Computernetz des Ministeriums. Die am BND-Standort im bayerischen Pullach angesiedelte Stelle „Operative Unterstützung und Lauschtechnik“ habe eine spezielle Spähsoftware eingesetzt, über die Daten abgeschöpft worden sein sollen. Ob der BND auch andere Minister überwacht hat, wie Kabul laut einem Bericht der „Mitteldeutschen Zeitung“ vermutet, bleibt offen. Angeblich wurden auch alle Telefonate Farhangs abgehört. BND-Mitarbeiter oder von ihnen beauftragte Afghanen sollen in Farhangs Arbeitszimmer eingedrungen sein. Im Nachrichtendienst wurden offenbar die Unterlagen zur Bespitzelung von Farhang im Jahr 2006 weitgehend vernichtet. Deshalb wird schwer zu rekonstruieren sein, ob der BND auch die E-Mails anderer Journalisten im Blick hatte.

Strittig bleibt, wann das Bundeskanzleramt vom BND über den Fall Farhang/Koelbl informiert wurde. Im Umfeld der Regierung sind zwei Versionen zu hören: Der Nachrichtendienst habe von der Überwachungsaktion erst am 26. Februar 2008 über das Sekretariat des Parlamentarischen Kontrollgremiums erfahren – nachdem dort ein anonymer Brief, mutmaßlich aus dem BND, eingegangen war, in dem der Präsident des Dienstes, Ernst Uhrlau, massiv beschimpft wird. Die andere Version lautet: Das Kanzleramt sei vorab bereits „informell“ unterrichtet worden. Uhrlau selbst wurde der Fall erst Ende Dezember 2007 bekannt.

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