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Politik: Bomben zum Fest

Der jüngste Anschlag von Grosny folgt einem zynischen Muster: Terror an den höchsten russischen Feiertagen

Nur wenige Tage vor dem Neujahrsfest haben tschetschenische Rebellen im Kaukasus erneut ein Blutbad angerichtet. Noch waren die Narben nach der blutig beendeten Geiselnahme in einem Moskauer Musical-Theater im Oktober und nach einem Bombenanschlag in der Hafenstadt Kaspijsk im Mai nicht verheilt, als ein Anschlag in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny am Freitag das Land aus der Feststimmung riss. Rund 40 Menschen starben, mindestens 60 wurden verletzt, als zwei Selbstmordattentäter mit einem Lastwagen und einem Geländewagen in Grosny vor dem Regierungsgebäude vorfuhren und dort mindestens eine Tonne Dynamit zündeten.

Die Zahl der Opfer, so hiesige Medien, könnte jedoch auf bis zu 200 steigen, wenn erst die Trümmer beseitigt sind. Das „weiße Haus“, wie der Betonklotz im Volksmund hieß, erst vor einem halben Jahr mit Pomp eingeweiht und das einzig intakte Gebäude im zerbombten Zentrum, sieht nun so aus, wie das einstige Präsidentenpalais, das die Russen beim Sturm Grosnys zu Silvester 1994 in Schutt und Asche legten. Der konkrete Beweis dafür, dass Moskau seither bei der Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Rebellenrepublik keinen Schritt weitergekommen ist. Sogar der von Moskau eingesetzte Statthalter, Ex-Mufti Ahmad Kadyrow, muss in einem ersten Interview für die Nachrichtenagentur „Interfax“ einräumen, dass in Grosny nach wie vor die „Banditen“ herrschen.

Mit eben dieser Sprachregelung für die Separatisten versucht Moskau sich und den Rest der Welt über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass die Mehrheit der Tschetschenen nach wie die Unabhängigkeit von Moskau will. Vielvölkerstaat und straffe Machtausübung, von Putin in Russland zur Staatsräson erhoben, schließen einander jedoch zwangsläufig aus. An diesem Widerspruch scheiterten schon Bemühungen, den ersten Tschetschenienkrieg im Sommer 1996 mit einem für beide Seiten akzeptablen Kompromiss zu beenden. Gleiches droht im zweiten Konflikt, der bereits über drei Jahre währt und der durch den 11. September, Afghanistan, Irak und weitgehende Einschränkungen für eine unabhängige Berichterstattung lange Zeit aus dem Bewusstsein der hiesigen wie der internationalen Öffentlichkeit verdrängt wurde.

Die Probleme bleiben dennoch. Mit Folgen, die bisher nur schwer abzuschätzen sind. Für die Region, für Russland insgesamt und auch für Putin persönlich. Schon beim Geiseldrama Ende Oktober vermochten Kreml und Regierung nicht plausibel zu erklären, wie 50 Bewaffnete durch die mehrfachen Straßenposten kamen. Seit gestern fragt man sich, wie die Selbstmordattentäter die dreifache Postenkette des Regierungsgebäudes in Grosny durchbrechen konnten. Das gelang wohl kaum ohne Helfer in der tschetschenischen Miliz, der schon Anfang Oktober nach einem ähnlichen Anschlag auf eine Polizeistation in Grosny Komplizenschaft mit den Rebellen vorgeworfen wurde.

Alle drei Anschläge und die 118 Toten beim Abschuss eines russischen Militärhubschraubers im Spätsommer, gehören zusammen und haben das gleiche politische Ziel. Für März ist ein Verfassungsreferendum geplant, Anfang 2004 sollen Präsident und Parlament gewählt werden. Die Separatisten bleiben in beiden Fällen außen vor. Wann sie das nächste Mal zuschlagen, ist daher eine bloße Zeitfrage.

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