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Bundeswehr-Einsatz: Abzug aus Afghanistan - jetzt oder später

Der ehemalige Verteidigungsminster der Union, Volker Rühe, gibt dem amtierenden, Franz Josef Jung, Ratschläge für den Einsatz in Afghanistan. Der reagiert verärgert. Die Debatte über einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist neu entbrannt.

Von Michael Schmidt

Berlin - Franz Josef Jung is not amused. Sein Amtsvorgänger Volker Rühe hat ein vernichtendes Urteil über die Mission in Afghanistan gefällt: Der Einsatz sei ein „Desaster“, für „die Nato, für Deutschland und für die Soldaten, die am Hindukusch sterben“. Rühes Empfehlung: „Wir sollten uns dort in den kommenden zwei Jahren mit voller Kraft engagieren und dann den Abzug einleiten. Die Amerikaner werden es doch genauso machen, Obama will schließlich wiedergewählt werden.“ Jung keilte zurück: „Es wäre klug, wenn Ehemalige sich mit aktuellen Ratschlägen zurückhalten würden.“

Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, hält Rühes Aussagen gleichfalls für wenig hilfreich. Im Gegenteil. „Diese Debatten sind schädlich und bergen die Gefahr, die Sicherheit unserer Soldaten zu verschlechtern“, sagte Polenz dem Tagesspiegel am Montag. Die Taliban beobachteten die Debatten in den Entsendeländern mit großer Aufmerksamkeit. „Wenn sie den Eindruck haben können, mit jedem Anschlag eine Grundsatzdiskussion über Sinn und Unsinn des Einsatzes auslösen zu können, dann haben die Radikalislamisten ihr Ziel erreicht und werden sich zu weiteren Anschlägen ermutigt fühlen“. Die internationale Allianz dürfe „nicht die Spur eines Zweifels an ihrer Entschlossenheit“ aufkommen lassen, die Mission zu einem Erfolg zu führen. „Wenn wir zuließen, dass Al Qaida in Afghanistan wieder einen Rückzugsraum bekäme, wäre das fatal: Das gäbe ihr nicht nur erneut eine Operationsbasis für weltweite Terroraktionen – mit der Behauptung, nicht nur die Sowjetunion, sondern auch den Westen besiegt zu haben, würde das Terrornetzwerk zudem eine immense Anziehungskraft auf gewaltbereite Extremisten erhalten“.

Ex-General Klaus Naumann hält die Nennung jedweden Abzugsdatums für einen Fehler. „Wer ein Datum nennt, gibt den Taliban gewissermaßen eine Kalkulationsgrundlage, wie lange sie noch durchhalten müssen und nimmt gleichzeitig Druck von der afghanischen Regierung, ihrerseits endlich mehr zu tun“, sagte der frühere Vorsitzende des Nato-Militärausschusses dem Tagesspiegel.

Der Verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, stimmt zu: „Wer hier in Deutschland wie Minister Jung davon redet, dass es noch zehn Jahre dauern könne, verkennt, dass das die deutsche Gesellschaft nicht durchhält – die internationale Gemeinschaft im Übrigen auch nicht.“ Deshalb gelte jetzt: „Alle müssen von allem mehr tun, und zwar inklusive der afghanischen Regierung“. Die aktuell gefährliche Lage am Hindukusch sei nicht entstanden, „weil das Kontingent schlecht vorbereitet oder schlecht ausgebildet worden wäre, sondern, unter anderem, weil alle Staaten die quantitative Dimension des Militär-, Zivil- und Polizeiausbildungs-Engagements anfangs unterschätzt haben.“ Das Problem sei erkannt. Das Kontingent wurde erhöht. Die Ausbildungsanstrengungen verstärkt. „Aber diese Dinge lassen sich nicht über Nacht ändern“, gibt Arnold zu bedenken, „zumal in einem Land mit 70 Prozent Analphabeten“.

Winfried Nachtwei, Grünen-Verteidigungsexperte, forderte Jung zu einer strategischen Generalinventur auf: „Richtig ist: Der Einsatz droht ein Desaster zu werden, wenn die Bundesregierung nicht endlich zu Ehrlichkeit und Konsequenz findet.“ Nötig seien „überprüfbare Ziele für die Aufbauanstrengungen – um auf dieser Grundlage endlich eine Abzugsperspektive zu entwickeln.“ Es mache „nämlich einen Riesenunterschied, ob man über einige Jahre, ein Jahrzehnt oder einige Generationen spricht.“ Nato und Isaf in Kabul dächten eher in kürzeren Zeiträumen. Das wirke „disziplinierend und mobilisierend“. Ohne einen solchen Zeithorizont lande man strategisch „beim Sankt-Nimmerleins-Tag“ und einem Endloseinsatz, „und ein Endloseinsatz wäre in der Tat ein Desaster“.

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