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Ein nachdenklicher Verteidigungsminister: Die jüngsten Skandale in der Bundeswehr rücken das Bild der Truppe ins Zwielicht.

© AFP

Bundeswehr-Skandale: Guttenbergs Einsatz im Inneren

Karl-Theodor zu Guttenberg hat erste Konsequenzen aus den Bundeswehrskandalen gezogen. Gelingt dem Verteidigungsminister damit der Befreiungsschlag?

Von
  • Robert Birnbaum
  • Michael Schmidt

Das Untersuchungsteam ist noch auf dem Weg ins argentinische Ushuaia. Erst Mitte der Woche werden die Militärs und Mitarbeiter des Wehrbeauftragten in dem kleinen Hafen an der Südspitze Feuerlands erwartet, um den Vorwürfen gegen Führung und Stammbesatzung der Gorch Fock nachzugehen. Schon seit Freitagabend aber hat das Segelschulschiff seinen alten Kommandanten nicht mehr. Als er von der „Bild“-Zeitung erfuhr, dass das Boulevardblatt groß mit neuen Vorwürfe aufmachen werde, ließ Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) Kapitän Norbert Schatz bis auf Weiteres von seinem Kommando abberufen.

Offenbar war schon länger bekannt, dass es auf der Gorch Fock ein Problem gibt. Warum wurde erst jetzt gehandelt?

Die spannende Frage ist, wem das bekannt war. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold hatte Marineinspekteur Axel Schimpf schon im Dezember im Verteidigungsausschuss nach Gerüchten über eine Art Meuterei auf dem Dreimaster gefragt. Der Vizeadmiral habe abgewiegelt – bloß einige „emotionale Spannungen“ nach dem Tod der jungen Offiziersanwärterin. Die Opposition will nun am Mittwoch im Verteidigungsausschuss genau wissen: Hat der Inspekteur seinem Minister ebenfalls nichts gesagt? Nachdem Guttenberg, kaum im Amt, den Generalinspekteur und den Staatssekretär wegen einer weit geringeren Informationspanne gefeuert hatte, wäre das eine nur schwer vorstellbare Nachlässigkeit. Oder wusste Guttenberg Bescheid? Dann wäre es an ihm, zu erklären, warum er dem Parlament nichts sagte – und der ganze Vorgang jetzt erst untersucht wird.

Im Fall der Gorch Fock hat der Verteidigungsminister nun reagiert. Reicht das?

In der Sache natürlich nicht. Kapitän Schatz ist von seinem Kommando entbunden, aber damit – auch wenn das öffentlich so wirken mag und von vielen in der Bundeswehr so empfunden wird – nicht schuldig gesprochen. Das Untersuchungsteam muss nun versuchen, zwischen Gerüchten und Fakten, rauem Militärton und Schinderei, skurrilen Sitten und Menschenverachtendem zu unterscheiden. Die Konsequenzen könnten von Straf- und Disziplinarverfahren bis zur Stilllegung der Gorch Fock als Schulschiff der Marine reichen. Aber auch politisch verschafft sich Guttenberg mit dem Schritt nur etwas Luft. Der Vorwurf, das Parlament nicht korrekt informiert zu haben, steht im Raum. Und nicht nur die SPD hat schon deutlich gemacht, dass sie es für ein sonderbares Verständnis von Verantwortung hielte, wenn dafür nur Untergebene geradestehen müssten. „Guttenberg hat nach der Kundus-Affäre neue Offenheit versprochen“, sagt ein Wehrpolitiker. „Wenn es die nicht gibt, dann ist er dafür verantwortlich.“

Über den Tod des Hauptgefreiten Oliver O. haben Feldjäger der Bundeswehr einen Bericht verfasst. Mit welchem Ergebnis?

Die Feldjäger der Bundeswehr kommen nach ihren Untersuchungen zum Tod eines 21-jährigen Hauptgefreiten am 17. Dezember in Afghanistan zu dem Schluss, dass dem Schützen beim Umgang mit der Dienstpistole massives Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Der achtseitige Bericht, der dem Tagesspiegel vorliegt, wurde bereits am 27. Dezember 2010 fertiggestellt und am 14. Januar der Justiz übergeben. Aber erst am vergangenen Donnerstag bekam der Minister Kenntnis davon. Darin heißt es, aus Sicht der Feldjäger, die wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ihre Ermittlungen noch am selben Tag begannen, sei „die Nichteinhaltung von Sicherheitsbestimmungen“ und „Unachtsamkeit“ des Schützen „der Grund für den tödlichen Vorfall“. Nach den Vernehmungen des Schützen wie der Zeugen sei auszuschließen, dass es sich „um eine vorsätzliche Tat handelt“. Mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ handele es sich „um einen Unfall“.

Wie kam es zu dem tödlichen Vorfall?

Dem Bericht zufolge ereignete sich der Vorfall in einem Unterkunftszelt, das mit elf Soldaten belegt war. Schütze und Opfer wollten zusammen „in das nahe gelegene Internetzelt gehen. Beide hatten ihre Laptops daher schon griffbereit. Dann löste sich aus der Pistole des Täters ein Schuss und traf den Kopf des vor ihm stehenden Opfers. Die Tatwaffe, eine Pistole P8, wurde auf einem Feldbett fertig geladen vorgefunden. „Es befand sich eine Patrone im Patronenlager“, obwohl der Schütze offenbar davon ausging, die Waffe sei vollständig entladen. Ein Magazin befand sich nicht mehr in der Waffe, allerdings lag neben ihr ein Magazin mit 13 Patronen. Der Schuss wurde dem Bericht zufolge aus nächster Nähe abgegeben, die Feldjäger gehen von einer Entfernung von nur zwei Metern aus. „Wäre die Waffe, wie er behauptet, zu diesem Zeitpunkt entladen gewesen, hätte sich durch den alleinigen Schlag von unten auf den Magazinboden kein Schuss aus der Waffe lösen können“, heißt es. Zudem müsse der Schütze in Richtung des zu Tode gekommenen Kameraden gezielt haben, als sich der Schuss löste: „Hätte er die Waffe auf den Boden gerichtet, wie ausgesagt, so wäre das Projektil bei gleichem Ablauf der Geschehnisse in den Boden eingeschlagen.“ Das bestätige die am Tatort rekonstruierte Flugbahn des Projektils.

Zum Zeitpunkt des Vorfalls waren neun Soldaten in dem Zelt. Sie schliefen bereits oder spielten mit dem Handy beziehungsweise hörten Musik. Aus ihren Aussagen geht hervor, dass sich Opfer und Schütze sehr gut kannten. „Die beiden waren gute Freunde, sie wollten sogar nach dem Einsatz zusammen in den Urlaub fliegen“, sagt einer. Der Schütze gilt unter seinen Kameraden als sehr zuverlässig, verantwortungsbewusst, sorgfältig. Auf die Frage der Ermittler, ob es in der Vergangenheit vorgekommen sei, dass jemand mit der Waffe herumgespielt habe oder für vermeintliche Heldenfotos posiert wurde, antwortet einer: „So was kam schon mal vor, dass jemand mit seiner Waffe rumgespielt hat.“ Aber wenn die Waffen aufeinander gerichtet wurden, sei das „immer Spaß“ gewesen. Die meisten halten den Vorfall denn auch für einen Unfall. Nur einer gibt zu Protokoll, die Waffe habe auf das Opfer gezeigt und der Schütze habe sie „absichtsvoll in diese Richtung gehalten“. Er bewerte das „als spielerischen Umgang“.

Eine Parlamentariergruppe war kurz darauf in Afghanistan. Was haben sie erfahren?

Offenbar wenigstens in groben Zügen die Wahrheit. Im Reisebericht des Grünen Sven Fiedler ist sie so nachzulesen: „Ein anderer Soldat reinigte gerade seine Waffe, als sich ein Schuss löste und ihn mitten in den Kopf traf.“ Das war mehr, als der Verteidigungsausschuss bis letzte Woche erfuhr – der aber und nicht „irgendwelche Kollegen“ müssten informiert werden, sagt ein Wehrpolitiker.

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