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Bundeswehr: Verlustängste bei den Kommunen

Eine kleinere Bundeswehr braucht weniger Standorte – viele Kommunen fürchten den wirtschaftlichen Abstieg.

Von Michael Schmidt

Berlin - Die Bundeswehr soll kleiner und die Wehrpflicht ausgesetzt werden. So will es Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Seine Pläne sind umstritten. Die politische Debatte konzentriert sich dabei fast ausschließlich auf die Frage, wie es mit dem Wehr- und Zivildienst weitergehen soll. Doch in der Truppe herrscht noch aus einem anderen Grund Verunsicherung; in den Kommunen beginnt das Zittern; Ministerpräsidenten schreien auf, und Kommunalpolitiker, Bürger und Gewerbetreibende zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen sind alarmiert: denn am Ende aller Reform- und Sparbemühungen wird vielerorts die Schließung ganzer Standorte stehen. Wo? Das weiß bisher niemand.

Der Minister hat vorsorglich klargemacht, dass mit schnellen Entscheidungen auch nicht zu rechnen sei. „Das sind Prozesse, die teilweise auch Jahre in Anspruch nehmen“, sagte Guttenberg in der zurückliegenden Woche. „Es wird zunächst Strukturentscheidungen geben müssen.“ Erst anschließend werde die Standortfrage „sehr, sehr klug abgewogen“ unter Beteiligung aller Betroffenen geklärt. „Da wird nicht mit dem Rasenmäher oder nach irgendwelchen Zahlen vorgegangen, sondern nach vielen Kriterien.“

Kritiker vermuten hinter vorgehaltener Hand, ein Kriterium für den Zeitpunkt der Bekanntgabe von Standortschließungen dürften die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März kommenden Jahres sein – immerhin befindet sich jede vierte deutsche Kaserne in einem der beiden Bundesländer. Am stärksten betroffen wähnen sich daneben Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, jene Länder mit den meisten Bundeswehrstandorten.

Für den SPD-Verteidigungsexperten Hans-Peter Bartels ist die herrschende Ungewissheit ein Unding: Wenn Guttenberg nicht sage, wie die neue Struktur aussehen solle, stehe ja praktisch jeder Dienstposten und jeder Standort zur Disposition. Damit trage der Minister „maximale Verunsicherung in die Bundeswehr“, sagte Bartels. Und auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP), warnt vor einem Kahlschlag. „Die Bundeswehr soll in der Gesellschaft verankert bleiben. Dazu gehört, dass die Bundeswehr in der Fläche sichtbar bleibt und nicht wie eine ferne exotische Fata Morgana erscheint“, sagte Königshaus. Würden Standorte der Bundeswehr zusammengelegt, so Königshaus weiter, würden noch mehr Soldaten völlig heimatfern eingesetzt. In der Debatte dürfe nicht nur mit Wirtschaftlichkeit argumentiert werden. Hinter den Zahlenspielen der unterschiedlichen Reformmodelle aus dem Hause des Verteidigungsministers „stehen viele Menschen, deren Interessen gewahrt werden müssen“, sagte der Wehrbeauftragte: Soldaten, Familien, Kinder, die Planungssicherheit bräuchten und Perspektiven.

Der Widerstand gegen Guttenbergs Reformmodell kommt von zwei Seiten. Zum einen von den überzeugten Wehrpflichtanhängern, vor allem in den Reihen der Union, die sich eine Bundesrepublik ohne Wehrpflicht nicht vorstellen können oder wollen. Zum anderen, und zwar parteiübergreifend, von Landes- und Kommunalpolitikern, die die radikale Truppenreduzierung ablehnen, weil sie die mit der Schließung von Standorten verbundenen wirtschaftlichen Folgen fürchten: Den Wegfall tausender Kunden in den Supermärkten, Bars, Restaurants, Geschäften aller Art. Die Soldaten leben mit den Bürgern; sie prägen das Ortsbild mit, gehen essen, kaufen ein, nutzen die Infrastruktur. Die letzte Schließungswelle ist noch nicht einmal abgeschlossen. Nach dem 2004 vom damaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) beschlossenen Spar- und Stationierungskonzept wurde in den vergangenen Jahren jede fünfte Kaserne dicht gemacht: Mehr als 100 von rund 500 Standorten wurden geschlossen.

Das wirtschaftliche Wohlergehen der betroffenen Regionen und der ortsansässigen Betriebe hängt zuweilen an den Bundeswehrsoldaten. Es drohen der Verlust ziviler Arbeitsplätze, ein dramatischer Wegfall an Kaufkraft und frei werdende Kasernengelände, Depots und Übungsplätze. Das trifft vor allem Städte und Gemeinden in strukturschwachen Regionen besonders hart. Viele Kommunen fürchten deshalb, einer solchen finanziellen wie strukturellen Belastung nicht standhalten zu können. Die Schließung von Standorten ist jedoch nicht immer gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Niedergang und struktureller Ödnis.

Konversion ist eine Möglichkeit: die Umwandlung von militärischer zu ziviler Standortnutzung. So mancher Kommune ist es in der Vergangenheit gelungen, auf dem Gelände ehemaliger Kasernen Unternehmen anzusiedeln und das Gebiet gewerblich zu nutzen. Einst militärische Stützpunkte wurden in Wohnanlagen, Technologieparks, Museen, Naherholungsgebiete oder Trainingszentren für Trabrennpferde – so das ehemalige US- Munitionsdepot in Kevelaer-Twisteden – umgewandelt. Teilweise wurden die Flächen verkauft oder militärische Liegenschaften in die Förderung der städtebaulichen Erneuerung und Entwicklung aufgenommen. Die befürchtete Krise – für viele geht sie mit einem wirtschaftlichen Abstieg einher, für manchen Standort aber hat sie sich als Chance für einen längst überfälligen Strukturwandel erwiesen.

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