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Bundestag: Bürger und Unternehmen werden steuerlich stark entlastet

Mit dem Bürgerentlastungsgesetz sind Kranken- und Pflegeversicherung künftig in größerem Umfang steuerlich absetzbar. Auch die Unternehmensbesteuerung wurde nachgebessert.

Der Bundestag verabschiedete heute das sogenannte Bürgerentlastungsgesetz. Damit werden Arbeitnehmer um knapp zehn Milliarden Euro pro Jahr entlastet. Sie können ihre Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vom kommenden Jahr an in größerem Umfang als bisher steuerlich absetzen.

Das Gesetz sieht zudem eine befristete Entlastung für Unternehmen im Umfang von drei Milliarden Euro als Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise vor. Damit haben Union und SPD die größte Steuersenkung seit dem Start der Großen Koalition 2005 endgültig auf den Weg gebracht.

Eine Zustimmung des Bundesrates gilt als sicher, da die Entlastungen für Firmen auch Forderungen der Länder sind. Die verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von Kranken- und Pflegekassenbeiträgen geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück.

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte, es handele sich wahrscheinlich um eine der größten Steuerentlastungen in der bundesdeutschen Geschichte. Sie komme zur rechten Zeit. Mit Blick auf die Rekord-Neuverschuldung des Bundes im nächsten Jahr von voraussichtlich fast 90 Milliarden Euro sagte Steinbrück, es gebe keinen Spielraum für weitere Steuersenkungen.

Die Oppositionsparteien warfen der Koalition "Flickwerk" vor. Steinbrück wies Forderungen der FDP nach dauerhaften Entlastungen von Unternehmen und weitergehenden Reformkorrekturen zurück. Dies sei weder sachlich notwendig noch könnten es die Haushalte von Bund und Ländern verkraften.

Der Steuerbonus fällt für Geringverdiener großzügiger aus als zunächst geplant. So sind Beiträge für die Arbeitslosen-, Haftpflicht-, Unfall- und Berufsunfähigkeits-Versicherung auch künftig absetzbar. Jedoch nur, wenn die Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen durch die Kranken- und Pflegekassenbeiträge noch nicht ausgeschöpft sind. Die Höchstgrenzen betragen 1900 Euro (für Arbeitnehmer und Beihilfeberechtigte) und 2500 Euro (für Steuerpflichtige, die ihre Krankenversicherung allein tragen). Darüber hinaus können mindestens die tatsächlich geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung angesetzt werden.

Mit dem Bürgerentlastungsgesetz werden auch Korrekturen an der 2008 in Kraft getretenen Unternehmenssteuerreform und weitere Entlastungen umgesetzt. Kleine und mittlere Firmen mit einem Umsatz von bis zu 500.000 Euro im Jahr müssen die Umsatzsteuer erst dann entrichten, wenn ihre Rechnungen auch bezahlt sind. Diese ostdeutsche Sonderregel wird bis Ende 2011 verlängert und gilt bundesweit.

Darüber hinaus werden Übernahmen von Firmen erleichtert, falls es sich um Sanierungsfälle handelt. Der übernehmende Konzern kann aufgelaufene Verluste unter bestimmten Bedingungen mit seinen Gewinnen verrechnen.

Zudem wird die "Zinsschranke" entschärft. Diese soll verhindern, dass Gewinne ins steuergünstigere Ausland verlagert werden. Die Freigrenze dafür soll für zwei Jahre von einer Million auf nun drei Millionen Euro angehoben erhöht werden.

Des Weiteren beschloss der Bundestag, dass unter 18-Jährige wegen des besonderen Risikos von Hautkrebs keine Solarien mehr nutzen dürfen. Das Parlament stimmte außerdem mit einer Mehrheit für eine Reform des Umweltrechts, die einen Teil des gescheiterten Umweltgesetzbuches umfasst.

Damit werden das Naturschutzrecht, das Wasserrecht und das Strahlenschutzrecht neu geregelt. Das Umweltgesetzbuch sollte deutlich weitergehen und war wegen eines Koalitionsstreites gescheitert. Union und SPD konnten sich nicht auf ein übergreifendes Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen und andere Großprojekte einigen.

Trotz massiver Kritik von Opposition und Verbänden wurden noch einige Einzelgesetze gerettet. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) räumte ein, die Einigung sei auch an "massivem Widerstand" der Industrie gescheitert. Die Reform sei dennoch ein "sehr großer Schritt nach vorne". Der Naturschutz, das Wasserrecht und der Strahlenschutz sollen neu geregelt werden. Eingriffe in die Natur müssen künftig ausgeglichen werden. Umweltschützer befürchten aber, dass die Zerstörung der Natur den Investoren noch einfacher gemacht wird. Der Bundesrat muss noch zustimmen.

Drei Monate nach dem Amoklauf von Winnenden verschärfte der Bundestag außerdem das Waffenrecht. Waffenbesitzer müssen künftig mit verdachtsunabhängigen Kontrollen rechnen. Es drohen härtere Strafen als bisher, wenn sie Schusswaffen nicht vorschriftsmäßig aufbewahren. Für Besitzer von illegalen Waffen wird eine bis Jahresende befristete Amnestieregelung eingeführt: Sie können ihre Waffen zurückgeben, ohne eine Strafe befürchten zu müssen. Die Altersgrenze für das Schießen mit Großkaliber-Waffen steigt von 14 auf 18 Jahre.

Die deutsche Marine kann Piraten am Horn von Afrika künftig bis zu den Seychellen verfolgen. Der Bundestag dehnte das Einsatzgebiet im Rahmen der EU-Operation "Atalanta" von 3,5 auf 5 Millionen Quadratkilometer aus. Nach Regierungsangaben ist das notwendig, weil sich die Piraten immer weiter von Küstengewässern entfernen. Östlich von Afrika kreuzen etwa 40 internationale Kriegsschiffe, um gegen die Piraten vorzugehen. Deutschland beteiligt sich mit zwei Fregatten und rund 650 Soldaten.

Des Weiteren erweiterte der Bundestag die Befugnisse des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Um Schadprogramme besser aufspüren zu können, darf das BSI künftig alle Daten auswerten, die bei Online-Kommunikation von Bürgern mit Bundesbehörden anfallen. FDP, Linke und Grüne stimmten wegen datenschutzrechtlicher Bedenken gegen das Gesetz. Ihrer Ansicht nach wird das BSI zu einer gigantischen Kontrollbehörde.

Trotz der Proteste von Naturschützern und Anwohnern gab der Bundestag grünes Licht für eine Ostseebrücke über den Fehmarnbelt. Knapp drei Monate nach dem dänischen Parlament billigte er den Staatsvertrag zwischen beiden Ländern. Bis 2018 soll zwischen der deutschen Ostsee-Insel Fehmarn und der dänischen Insel Lolland eine 19 Kilometer lange Brücke entstehen. Dänemark übernimmt die Baukosten in Höhe von geschätzt 4,8 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik muss nur die Bahn- und Straßenanbindung auf deutscher Seite bezahlen, für die rund 800 Millionen Euro veranschlagt sind.

Die Renten werden gemäß dem Beschluss des Bundestages künftig auch bei Lohnrückgängen nicht gekürzt. FDP und Grüne lehnten die Rentengarantie ab, die Linksfraktion enthielt sich der Stimme. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) hält rückläufige Löhne zwar für unwahrscheinlich, sieht in der Schutzklausel aber einen Sicherheitsfaktor. Die Kritiker beanstandeten, dass die Milliarden-Kosten der Rentengarantie im Bedarfsfall allein den Beitragszahlern aufgebürdet werden.

Der Bundestag beschloss zudem, dass Arbeitgeber künftig nach sechs Monaten für Kurzarbeiter keine Beiträge zu den Sozialversicherungen mehr bezahlen müssen. Die Neuregelung soll das Kurzarbeitergeld für die Wirtschaft attraktiver machen und den Betrieben einen Anreiz geben, auch bei andauernder Auftragsflaute auf Entlassungen zu verzichten. Zudem kann das Kurzarbeitergeld künftig maximal 24 Monate statt bislang 18 Monate bezogen werden. Mit der Neuregelung wurde auch eine weitere Änderung beschlossen. Danach gilt die volle Entlastung von den Sozialbeiträgen bei Kurzarbeit künftig in allen Betriebsteilen eines Arbeitgebers, also auch für jene, in denen noch nicht ein halbes Jahr kurzgearbeitet wurde.

ZEIT ONLINE, sh, dpa

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