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Politik: Bush sieht Völkermord in Darfur – Europa zögert

Berlin hält Zuspitzung für unglücklich, weil sie von Khartum als amerikanische Interessenpolitik eingestuft werden könnte

Berlin Vor wenigen Wochen noch war die deutsche Diplomatie stolz darauf, dass die amerikanische Öffentlichkeit endlich die Vertreibungen im Sudan als Problem entdeckt hatte. Das sei auch ein Erfolg des wochenlangen Drängens Berliner Außenpolitiker in Gremien wie den Vereinten Nationen (UN), hieß es damals. Nun hat Präsident George W. Bush selbst den Druck auf die sudanische Regierung erhöht und die Verfolgung der afrikanischen Bevölkerung in Darfur als Völkermord bezeichnet. Doch weder die Bundesregierung noch die EU wollen nun so weit gehen wie der Verbündete.

Die von der Regierung in Khartum geduldeten und auch gesteuerten Verbrechen, die schon Zehntausende das Leben gekostet haben, nennt Außenminister Joschka Fischer (Grüne) mit einer komplizierten Formulierung eine „humanitäre und menschenrechtliche Tragödie mit genozidalem Potenzial“. Die Amerikaner und die Europäer wollen zwar gemeinsam das Regime in Khartum weiter unter Druck setzen. Doch scheint die deutsche Außenpolitik über die Zuspitzung durch Bush wenig glücklich.

In der mehrheitlich islamischen Region nämlich gelten die USA spätestens seit dem Irakkrieg als aggressive, imperialistische Macht. Versteift sich ausgerechnet Washington auf die These, wonach ein Völkermord vorliege, kann die Regierung in Khartum Forderungen aus dem Westen nach einem Stopp der Vertreibungen und Androhungen von Sanktionen leichter als vorgeschobene Behauptungen von Mächten denunzieren, denen es in Wirklichkeit um das sudanesische Öl gehe. Sudans Außenminister Mustafa Osman Ismail wies den Vorwurf des Völkermords sofort kategorisch zurück.

Die Berliner Außenpolitik setzt dagegen auf ein flexibleres Vorgehen, bei dem der diplomatische Druck auf Khartum zwar aufrechterhalten werden soll, gleichzeitig aber Spielraum für weitere Verhandlungen bleibt. Fischer vermeidet mit seiner Formel eine Festlegung auf ein Ergebnis, um die Chance zu erhöhen, dass Sudan einer Ausweitung der Beobachtermission der Afrikanischen Union in Darfur zustimmt. Eine 3000-Mann-Friedenstruppe der Union, die die UN wünschen, lehnt Khartum bisher ab. Einen Automatismus zwischen der Diagnose „Völkermord“ und einer Eingreifpflicht der UN sehen Völkerrechtler des Auswärtigen Amts nicht.

Hinter vorgehaltener Hand würde in Berlin kaum ein Politiker der Einschätzung des sudanesischen Außenministers widersprechen, wonach Bush mit seiner Erklärung mitten in der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfs afroamerikanische Wähler gewinnen will. Auch Konkurrent John Kerry legte prompt mit eigenen Erklärungen zu Sudan nach.

Mit dem neuen Resolutionsentwurf der USA für den Sicherheitsrat ist Berlin aber vollkommen einverstanden. Die Androhung eines Boykotts der Erdölexporte Sudans und die Aufforderung, eine internationale Untersuchung der Verbrechen in Darfur einzuleiten, stoßen im Sicherheitsrat aber auf massive Bedenken Chinas, Russlands, Pakistans und Algeriens. Der Boykott soll greifen, falls die arabischen Reitermilizen von Khartum nicht entwaffnet werden.

Befürchtet wird in Berlin auch, dass Islamisten den Konflikt ausschlachten. Die jüngste Al-Qaida-Erklärung warnt auch vor US-Attacken auf Sudan.

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