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Carl Bernstein: „Hillary führt Listen mit den Namen ihrer Feinde“

Carl Bernstein, 73, deckte mit seinem Reporterkollegen Bob Woodward den „Watergate“-Skandal auf, der den US-Präsidenten Richard Nixon 1974 zum Rücktritt zwang. Jetzt hat der Starjournalist eine Biografie über Hillary Clinton veröffentlicht (Droemer Knaur).

Mr. Bernstein, sieben Jahre haben Sie sich mit Hillary Clinton beschäftigt und eine 800 Seiten starke Biografie geschrieben. Sie müssen ein großes Interesse daran haben, dass Hillary zur Präsidentin der USA gewählt wird.

Sie meinen, weil das gut für den Verkauf wäre?

Das auch.

Nein. Ich habe noch nicht entschieden, wen ich wählen werde.

Was spricht für Hillary Clinton?

Ich bin weder ihr Anwalt noch ihr Gegner. Meine Biografie will zeigen, wer sie ist. Sie ist die bekannteste Frau der Welt, und eigentlich weiß doch kaum einer viel über sie. Sie sagt: Ich bin ein Geheimnis. Sie ist ein Geheimnis, weil sie eines sein will.

Und Sie haben es jetzt gelüftet?

Ja. Indem ich mit allen Leuten gesprochen habe, die sie an unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens am besten kannten. Nach und nach habe ich einen Mythos nach dem anderen entlarvt und dafür die wahre Geschichte ihres Lebens erzählt. In ihrer Autobiografie „Gelebte Geschichte“ wird sehr viel weggelassen und vernebelt. Zum Beispiel beschreibt sie eine idyllische Kindheit, in der ihr Vater auch mal ein bisschen grob sein konnte. Er war jedoch viel mehr als das: verbittert, unangenehm.

Den eigenen Vater nimmt man immer anders wahr, bisweilen positiver, als er ist.

Das stimmt, aber bei Hillary handelt es sich um einen extremen Fall von Verleugnung. Ihr erster Freund fragte sich nach einem Besuch in Hillarys Elternhaus: Warum ist ihre Mutter immer noch mit diesem Misanthropen zusammen?

Weigert sich Hillary Clinton, das wahrzunehmen?

Ich bin kein Psychologe. Trotzdem ziehe ich einige Parallelen zwischen ihrer Ehe und der ihrer Eltern – aber ansonsten versuche ich, solche Interpretationen zu vermeiden.

Aber es ist auch eine politische Frage, ob sie die Wahrheit bewusst beschneidet oder ob sie wirklich daran glaubt.

Ach, natürlich hat sie das immer wieder bewusst gemacht. Das Entscheidende ist nicht, dass Bill Affären hatte, sondern Hillarys Reaktion auf die Frauen. Viele Menschen haben früh erkannt, dass er irgendwann ein hohes Amt bekleiden würde. Aber Hillary hat als Einzige geahnt, dass Bills Sextrieb eine Karriere verhindern würde, wenn die Folgen davon bekannt würden. Also hat sie die Affären vertuscht. Daraus wurde eine Vollzeitbeschäftigung: Hillary engagierte Privatdetektive und führte Interviews mit den Ex-Partnern der Frauen. Da muss man sich natürlich fragen: Was richtet das mit der Psyche eine Ehepartners an?

Wie relevant sind solche Details? Gab es für Sie als Biografen eine ethische Linie, die Sie nicht überschreiten wollten?

Sie werden in meinem Buch keine Sexszenen finden, nichts Anzügliches …

… vielleicht kannten Sie die einfach nicht …

… oh, doch, ich kenne genug Einzelheiten. Es wäre mir nicht im Traum eingefallen, zu schreiben, was Clinton sexuell so getrieben hat. Warum auch? Ich wollte kein lüsternes Buch.

Hillary Clinton hat für das Buch nicht mit Ihnen geredet.

Ja, das ist ausgesprochen traurig.

Wenn sie Ihnen eine Frage offen und ehrlich beantworten würde, was würden Sie fragen?

Kann ich darüber noch ein bisschen nachdenken?

Gerne. Warum hätten die Clintons mit Ihnen reden sollen?

Sie hätten die Möglichkeit gehabt, zu sagen: Hey Carl, sprich noch mal mit dem, die Geschichte stimmt nicht ganz. Hillary ist eine Person, die ihr Image fanatisch kontrolliert. Das ist sicher ihre unattraktivste Charaktereigenschaft, eine, die ihr im Weißen Haus sehr geschadet hat. Ihr Hang zum Manipulieren ist geradezu jesuitisch: das Suchen von kleineren Wahrheiten, die die großen Wahrheiten vernebeln.

Erinnert Sie das an Ihr anderes Fachgebiet, Richard Nixon?

Sie hat einige Nixon’sche Züge: Sie führt Listen mit Feinden, und sie hat dieses Unversöhnliche – erstaunlich für eine religiöse Frau. Aber ich glaube, dass Nixons Lügen anders waren, und die von Bush auch. Wir nähern uns gerade dem Ende einer Präsidentschaft, die unsere Stellung in der Welt zerstört hat. Bush ist arrogant, ahnungslos, und Lügen war ein großer Teil seiner Vorgehensweise. Hier sehe ich eine Gefahr für Hillary. Heikel wird es, wenn die Leute sagen, Moment mal, wir hatten gerade einen Präsidenten, dessen Hauptproblem Unehrlichkeit war.

Hillarys Kindheit schildern Sie mit großer Akribie, die Jahre im Weißen Haus auch, aber für die letzten sieben Jahre als Senatorin begnügen Sie sich mit 26 Seiten. Warum plötzlich so kurz?

Die Jahre im Weißen Haus zeigen sie als Handelnde, im Team mit ihrem Mann, knietief im Tagesgeschäft der Politik. Ich wollte nicht beschreiben, was sie im täglichen Klein-Klein des Senatsgeschäfts tut.

Aber im Senat übt sie doch zum ersten Mal selbst ein politisches Amt aus. Das muss man als Vorschau auf eine Präsidentschaft lesen.

Ja, sie ist dort ein Kompromissler geworden. So sehr, dass man gar nicht mehr genau weiß, wofür sie steht. Das ist untypisch, wenn man weiß, wie sie am Anfang der Regierungszeit ihres Mannes Einfluss genommen hat. Die einzige wichtige Senatsabstimmung, bei der sie sich energisch gezeigt hat, war die über den Krieg. Und von der versucht sie sich nun zu distanzieren. Dabei war sie davon überzeugt, dass es richtig ist, den Präsidenten zu unterstützen – wer auch immer der Präsident ist.

Heute sagt sie, dass sie annahm, Bush werde vor einem Angriff die Zustimmung des Senats einholen. Ist das wieder eine zurechtgestutzte Wahrheit?

Nein. Jetzt werde ich sie doch verteidigen: Ich denke zwar, dass da etwas Unehrliches in ihrer Aussage ist. Aber ich denke auch, dass das nachvollziehbar ist. Andere Senatoren haben wie sie gestimmt und geglaubt, dass der Präsident noch einmal um Erlaubnis fragen würde. Und noch eine Sache zum Krieg: Ihr Mann hat etwa 400 Angriffe gegen verdächtige Waffenlager fliegen lassen.

Ihnen eilt ein Ruf voraus: Sie haben 1972 „Watergate“ aufgedeckt. Haben die Leute bei Ihrer Clinton-Recherche bereitwillig mit Ihnen geredet oder waren sie eingeschüchtert?

Die Leute sind offener. Man weiß, dass ich vertrauenswürdig bin. Und ich bin ein ziemlich guter Zuhörer. Bei Hillary hat das aber nicht gezogen. Sie hat mitteilen lassen, dass sie nicht mit mir reden will, weil gerade zu viele Bücher über sie geschrieben würden. Ich glaube nicht, dass das der wahre Grund ist. Sie kennt mich, sie weiß, dass ich nicht darauf aus bin, sie zu „kriegen“. Sie weiß genug über mich, um mit mir zu reden. Die Clintons sind etwas jünger als ich, aber viele ihrer Freunde sind auch meine Freunde. Und meine Mutter war eine der acht Frauen, die Hillarys Post im Weißen Haus beantwortet haben.

Sie haben zur gleichen Zeit an der Biografie geschrieben. Was haben Sie Ihre Mutter gefragt?

Meine Mutter? Nichts. Die Frauen haben an der Stelle nichts Interessantes mitbekommen und Hillary nur einmal alle sechs Monate gesehen. Ich wollte nur sagen, dass mein Verhältnis zu den Clintons nicht feindlich war. Aber Ihre Frage war ja nicht, wie Hillary auf mich reagiert hat, sondern die Leute generell: Ich bin gut in dem, was ich tue. Und ich respektiere, mit wem ich rede. Dann höre ich zu und lerne meistens jede Menge Neues.

Zum Beispiel?

Die erste Person, mit der ich für die Biografie gesprochen habe, ist eine alte Freundin von mir, und zugleich ist sie sehr nah an Hillary. Sie riet mir: Fange mit ihrem methodistischen Glauben an. Da bin ich fast vom Stuhl gefallen, darüber hatte ich nichts gewusst. Die Religion und die Familie sind letztlich die zwei Säulen ihrer Existenz.

Als „Watergate“-Enthüller sind Sie kein normaler Autor.

Journalisten suchen bei mir die große Schlagzeile und sind enttäuscht, wenn sie sie nicht finden. Sie sagen: Oh, die Clintons hatten Probleme in ihrer Ehe? Das haben wir schon gewusst! Es geht mir um das menschliche Drama. Für mich ist Hillarys Religiosität genauso wichtig wie Bills Scheidungswunsch. Nur, dass „Hillary ist gläubig“ nicht für eine Schlagzeile taugt.

Haben Sie sich manchmal gewünscht, es hätte „Watergate“ nie gegeben und Sie könnten jetzt ein freies Leben führen? Sie waren damals erst 28 …

Das habe ich mir nie gewünscht. Obwohl es mich auch unter Druck gesetzt hat. Es gab Zeiten, in denen es mir mehr geschadet als genützt hat, aber das lag an mir selbst.

Wie meinen Sie das?

Naja, ich bin zeitweise mit Geld und Ruhm nicht gerade weise umgegangen.

Sie meinen, dass Sie damals bei der „Washington Post“ gekündigt haben, mit Liz Taylor und Bianca Jagger um die Häuser gezogen und betrunken Auto gefahren sind?

Na, ich hatte ein großartiges, manchmal auch großes Leben. Es hat mir gefallen. Vermutlich hätte ich vor 30 Jahren meine Ehe anders beendet…

Sie waren mit 28 Jahren nicht reif für den Ruhm?

Hören Sie, andere Leute haben mehr Probleme damit als ich. Ich habe die Frauen gemocht, und die Frauen mochten mich. Inzwischen bin ich seit vielen Jahren glücklich verheiratet. Ich war damals 28, mit 34 geschieden, das ist sehr lange her.

Ist es zu bedauern, dass sich der Journalismus weg von den gesellschaftspolitischen Fragen hin zur Personality-Geschichte entwickelt?

Was meinen Sie damit?

1972 entstand das Foto eines schreienden vietnamesischen Mädchens, das vor der Napalm-Bombardierung flieht. Derselbe Fotograf hat die weinende Paris Hilton fotografiert, die ins Gefängnis eingeliefert wird. Die Leute reden nicht mehr über Ideen, sondern über Personen. Ihr Buch ist Teil dieser Entwicklung.

Es ist komplizierter als das. Man kann den Journalismus nicht vom Rest der Kultur trennen. Es gibt eine große Nachfrage nach dem, was wir tun – und unsere Aufgabe ist es, zu entscheiden, was wirklich eine Neuigkeit ist und nicht nur den Leuten das zu geben, wonach sie lechzen. Zugleich müssen wir anerkennen, dass wir jetzt eine Celebrity-Kultur haben, und Hillary Clinton ist die größte Prominente von allen.

Würden die Amerikaner morgen Hillary Clinton oder Paris Hilton wählen?

Hillary Clinton. Vertrauen Sie mir. Mich interessiert viel mehr, wie es zu diesen politischen Dynastien Bush und Clinton kommen konnte. Falls Hillary die Wahl und die Wiederwahl gewinnt, hätten wir 28 Jahre am Stück, in denen sich die Bushs und die Clintons das Oval Office hin- und herschieben. Wenn Jebb Bush, George W. Bushs Bruder, sich danach bewerben würde, kämen wir auf 36 Jahre.

44 Jahre mit Chelsea, der Clinton-Tochter.

Genau. Es klingt jetzt unfair, zu sagen, wir wollen Hillary nicht, weil wir gegen Dynastien sind. Aber es ist doch sehr seltsam: In unserem Land leben 300 Millionen Menschen, und die Einzigen, die wir als Präsidenten auftun können, sind Clintons oder Bushs.

Ist es gefährlich, zwei Kopräsidenten zu haben, die durch persönliche Verletzungen und Eifersucht aneinandergekettet sind?

Ich glaube nicht, dass es etwas Gefährlicheres gibt als George Bush den Jüngeren.

Dann haben Sie für Kerry und Gore gestimmt?

Da muss ich nachdenken. Gore? Ja, habe ich. Aber ich sage normalerweise nicht, wen ich wähle. Ich identifiziere mich nicht mit Parteien. Zugleich – ähnlich wie Hillary – verabscheue ich Ideologien. Ich habe auch schon für einen großartigen republikanischen Senator in Maryland gestimmt, wo ich gewohnt habe.

Haben Sie Ihre Meinung über Hillary geändert, während Sie die Biografie geschrieben haben?

Darum geht es ja. Autoren schreiben, um herauszufinden, woran sie glauben. Jetzt lese ich gerade das fertige Buch zum ersten Mal als Ganzes. Und ich merke, dass ich mich weiterbewegt habe.

In welche Richtung?

Sie haben vorhin nach ihrer Senatorenzeit gefragt – ich denke, die Biografie hat tatsächlich eine Schwäche: Ich habe mich nicht mit dem Apparat beschäftigt, der sich um sie entwickelt hat. Der ist wirklich hässlich. Er hält systematisch die Leute von ihr fern, eine Kombination von Umfrageorientierung und einer Propagandamaschine.

Sie beschreiben, dass Hillarys politische Ambitionen immer nach Bills Eskapaden an Fahrt gewinnen. Die Entscheidung, für den Senat in New York zu kandidieren, fällte sie zum Beispiel nach der Monica-Lewinsky-Affäre.

Es ging darum, mit ihm gleichauf zu kommen. Aber da sind natürlich auch Verletzungen und Wut. Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass ihre Entscheidung, für den Senat zu kandidieren, am letzten Tag seines Amtsenthebungsverfahrens fiel.

Falls das wahr ist, hätten die USA vielleicht demnächst eine Präsidentin, die das Land nur führen will, weil sie persönlich mit ihrem Ehemann noch eine Rechnung offen hat.

Es stimmt schon, sie war tief verletzt und wütend. Sie musste gemerkt haben, dass da etwas passiert war, was sie nicht wahrhaben wollte.

Warum hat Hillary dann öffentlich auf der Tatsache bestanden, dass Bill sie nie belogen habe?

Das müssten Sie einen Psychologen fragen. Es ist ein spektakuläres Statement, das offensichtlich nicht stimmt.

Wäre das die Frage, die Sie ihr stellen würden?

Oh nein.

Was wäre sie? Sie haben sie jetzt die ganze Zeit zurückgehalten …

Ich würde Hillary bitten, mit mir für eine Weile ihr Verhältnis zur Wahrheit zu diskutieren. Und für mich nachzuzeichnen, wie sie in der Vergangenheit mit der Wahrheit umgegangen ist. Ob es einen Punkt gab, an dem ihre Wahrnehmung von Wahrheit sich geändert hat oder ihr Wille, die Wahrheit zu sagen. Das ist eine schwere Frage. Ich müsste mich ein oder zwei Stunden hinsetzen und den genauen Wortlaut ausarbeiten.

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