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Politik: „Damit sind wir an der Kante“

Umweltminister Jürgen Trittin über den Klimakompromiss und die Versprechen der Industrie

Die Verhandlungen um den Zuteilungsplan für den Emissionshandel erinnern an Tarifverhandlungen. War es so harmlos, oder stand die Koalition auf der Kippe?

Beide Seiten sind an die Grenzen dessen gegangen, was man erreichen kann. Dafür spricht auch die Dauer der Verhandlungen. Das Ergebnis ist ein schwieriger Kompromiss, der aber vertretbar ist.

Es hat so lange gedauert, weil es so ernst war?

Es ging um einen Grundsatzkonflikt. Wollen wir die Politik der ökologischen Erneuerung fortsetzen? Oder zurückfallen in eine Politik der Strukturbewahrung. Für die SPD war das ein noch größeres Problem. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement steht in der Partei ja sonst auf der Seite derer, die Strukturen verändern wollen. Ich bin froh, dass die Architektur des Kompromisses stimmt. Dass ich mit den Zahlen nicht zufrieden bin, daraus habe ich keinen Hehl gemacht.

Ist die Ökologie auf dem Rückzug?

Der Emissionshandel wird dazu führen, dass wir einen beachtlichen Anreiz haben, alte Kraftwerke stillzulegen. Das meine ich mit der richtigen Architektur. Nach diesen Regeln sind die Klimaschutz-Ziele, zu denen sich Deutschland im Kyoto-Protokoll verpflichtet hat, erreichbar.

Was macht Sie da so optimistisch?

Der Umstand, dass von 2008 an alle alten Möhren 15 Prozent ihrer Kohlendioxid-Emissionen reduzieren müssen. Wenn Sie zehn davon haben, können Sie eine gleich stilllegen. Oder Sie investieren in eine neue Anlage. Der Einstieg in den Emissionshandel geht nicht so schnell und liegt unter dem, was die Industrie selbst zugesagt hat. Das ist unbestritten. Aber für uns sind eine attraktive Übertragungsregel und eine Modernisierungsklausel der Schlüssel zum Problem.

Ärgert es Sie, dass Wolfgang Clement nun als der Sieger dasteht?

Da kann ich nur Mick Jagger zitieren: Wer liest schon die Zeitungen von gestern? Diese Erfahrung habe ich in den vergangenen vier Jahren gemacht. Es zählt das, was am Ende einer Wahlperiode steht. Über Wolfgang Clement ist das Gleiche geschrieben worden in der Auseinandersetzung um das Erneuerbare-Energien-Gesetz.

Das ist ganz anders ausgegangen. Da sehen Sie sich als Sieger?

Das sind nicht meine Kategorien. Wahrscheinlich wird der Wähler das am Ende zu beurteilen haben, und das ist 2006.

Der Wirtschaftsminister hat in der Auseinandersetzung angedeutet, dass er bei einem anderen Ergebnis womöglich zurückgetreten wäre. Wo liegt Ihre Schmerzgrenze?

Wenn ich einen Kompromiss nicht für vertretbar halte, trage ich ihn nicht mit. Das ist ganz einfach.

Sie haben gesagt, wenn die Wirtschaft einen geringeren Anteil an Emissionsreduktionen erbringt, dann müssten die Haushalte und der Verkehr mehr Kohlendioxid (CO2) vermeiden. Inzwischen halten sie das nicht mehr für nötig. Warum haben Sie den Streit denn dann überhaupt geführt?

Ich habe nur darauf verwiesen, dass mit der Einführung des Emissionshandels der Zustand beendet wird, dass Verkehr, Haushalte, Dienstleistungsbranche und Industrie ihren Kohlendioxid-Ausstoß vermindern, nicht aber die Energiewirtschaft. Dass Haushalte und Autofahrer die Emissionssteigerungen der Energiewirtschaft ausgeglichen haben, ist nicht das Ergebnis von Business- as-usual, sondern politischen Handelns. Dazu gehören die Ökosteuer, die Energieeinsparverordnung, das CO2-Modernisierungsprogramm und bald auch die Maut. Unter diesen Bedingungen ist das Ziel erreichbar. Aber nur dann, wenn die Industrie ihre zehn Millionen Tonnen CO2 vermindert. Damit sind wir an der Kante, aber an einer erreichbaren Kante.

War es die Auseinandersetzung wert?

Ich suche mir Auseinandersetzungen doch nicht aus.

Aber Sie führen sie …

Wir haben eine EU-Richtlinie, die haben wir durchzusetzen.

Sie hätten gleich einen Zuteilungsplan vorlegen können, der die Industrie weniger fordert.

Es war ja so: Alle wollten möglichst viel haben. Es ging um die Verteilung von Geld; Emissionszertifikate sind bares Geld wert. Wir werden, da der Preis nicht in den Himmel schießen wird, einen Wert von rund 2,5 Milliarden Euro verteilen. Dass es den Wunsch gibt, davon möglichst viel zu bekommen, ist nicht verwunderlich.

Offenbar ist es schwer, in der Rezession das Thema zu vertreten. Es ging in der Debatte nie ums Klima, sondern um Arbeitsplätze.

Es ging darum, dass diejenigen, die nach Zertifikaten gierten, ihr egoistisches Interesse korporatistisch verbrämt durch eine Lobby- Gruppe als Sorge um Arbeitsplätze ausgegeben und mit der Drohung, Produktionsstätten zu verlagern, auch die Betriebsräte auf ihre Seite gezogen haben. Aber das muss man nicht wörtlich nehmen.

Sie haben mit dem Klimakompromiss die Wirtschaft aus ihrer Selbstverpflichtung entlassen.

Das finde ich eine interessante Interpretation.

Die Wirtschaft hat versprochen, ihren CO2-Ausstoß bis 2010 um 45 Millionen Tonnen zu vermindern. Der Emissionshandel verpflichtet sie nur zu zehn Millionen Tonnen.

Die Wirtschaft hat stets betont, dass sie diese Selbstverpflichtung einhalten wird. Sie wird also im Jahr 2010 sehr viele Zertifikate über haben – in der Größenordnung von 25 Millionen Tonnen. Ich gehe davon aus, dass wenn der Vorsitzende des Bundesverbands der deutschen Industrie Michael Rogowski etwas unterschreibt, er das dann auch erfüllt.

Bei privaten Haushalten und Verkehr gibt es starke Zweifel, ob es reicht, die CO2-Emissionen um sieben Millionen Tonnen zu reduzieren. Experten sagen, dass Temperaturschwankungen berücksichtigt werden müssen.

Wir haben in diesen Bereichen einen Trend über mehrere sehr unterschiedliche Jahre. Dieser Trend zeigt seit 1999 dank unserer Klimaschutzpolitik nach unten. Wir brauchen die Ökosteuer, die Maut, das CO2-Modernisierungsprogramm, die Energieeinsparverordnung und das Stromsparen bei den Endgeräten, wenn wir das Ziel erreichen wollen

Wann müsste die Maut in Kraft treten, damit das noch klappt?

Na, möglichst schnell.

Das Interview führten Dagmar Dehmer und Cordula Eubel.

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