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Politik: Dann eben Salsa

Von Gerd Nowakowski

Es hat sich ausgetanzt. Eine Love Parade wird es in Berlin in diesem Jahr nicht geben – und wohl nie wieder. Das Drama eines angekündigten Scheiterns, seit gestern ist es amtlich besiegelt. Auf der Website der BerlinMarketing-Gesellschaft, wo bis gestern Mittag noch mit einem knallbunten Foto des Umzugs für die Reise an die Spree geworben wurde, steht nun: abgesagt. Und niemand ist so recht traurig darüber.

Von 150 Menschen auf 1,5 Millionen und wieder auf null: Das ist die Geschichte der Love Parade in Kurzform. Als das schrille Spektakel im Sommer des großen Wendejahres 1989 das erste Mal über den Kurfürstendamm zog, mussten sich die Aktivisten Hohn und Gelächter anhören. Wenige Jahre später höhnte niemand mehr. Kurz nach dem Mauerfall wurde der Techno-Umzug zum erfolgreichsten Symbol einer sich rasant verändernden und lebendigen Stadt. So schnell wie die Beats war das Wachstum der Parade; und der Erfolg so riesig, dass er die Macher selbst überholte und den weltweit übertragenen, wirren Reden eines Dr. Motte unter der Siegessäule eine bizarr überhöhte Bedeutung gab. Die neue Hauptstadt, auf der Suche nach Identität, beladen mit der mühsamen Aufgabe, das Zusammenwachsen einer über Jahrzehnte zerrissenen Stadt zu bewerkstelligen, schien einige Jahre in der Love Parade den Ausdruck einer Weltläufigkeit und Leichtigkeit gefunden zu haben, die die Stadt so lange vermisst und so sehnlich gewünscht hatte.

Der Mauerfall und hunderttausende tanzende junge Menschen, das waren die Bilder, die um die Welt gingen und das Image der Stadt nachhaltig prägten. Techno, das war die Musik, die direkt aus den Kellern besetzter Häuser, illegaler Clubs und improvisierter Musikstudios kam; echt und unverbraucht, ebenso unfertig und kantig wie die neue Hauptstadt selbst – die war noch auf der Suche nach ihrer Rolle. Alles war möglich, das gab der Bewegung eine Authentizität, die bestechend war und die Welt staunen ließ.

Vorbei, vergangen. Das Scheitern hatte sich lange angekündigt. Obwohl beim letzten Umzug 2003 noch nahezu eine Million Raver zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule zu den Bässen hüpften, war das Moment des Untergangs schon spürbar. Ein Massenspektakel, das seine Jünger längst aufgefressen hatte. Geblendet vom eigenen Erfolg hatten sich die Macher außerdem zu unentwirrbar in dem verschachtelten Love-Parade-Konzern verfangen, um noch einen kreativen Ausweg zu finden. Da brauchte es nicht einmal mehr die Entscheidung des Berliner Senats, der Parade den Status der politischen Demonstration zu nehmen. Die war sie eh nie gewesen. Mit der Aufgabe, als Geschäftsleute zu wirtschaften, aber waren Dr. Motte und Co. heillos überfordert. Schlimmer noch: Die Zeit des Techno ist längst abgelaufen. Welch ein Zufall, dass zeitgleich zur Rave-Absage auch der erste Berliner Techno-Club „Tresor“ endgültig schließt.

Trauern um die Love Parade muss deshalb niemand. Sie hat sich überlebt. Der Senat war klug genug, nicht mit aller Macht zu retten, was nur noch Hülle war und Nachhall einstiger Bedeutung. Spuren hat sie dennoch hinterlassen. Die weltweit berühmte Berliner Club-Szene gäbe es ohne die Techno-Pioniere nicht und auch nicht den Ruf Berlins als deutsche Hauptstadt der Musikwirtschaft. Dass am Spreeufer heute global agierende Plattenkonzerne oder der Musiksender MTV residieren, das ist kein Erfolg der Berliner Wirtschaftsförderung, sondern ist aus den Wurzeln der Techno-Szene gewachsen.

Die Love Parade ist tot, doch der Mythos wird weiter leben und strahlen – größer als die Wirklichkeit. Nicht nur, weil die Love Parade als Exportartikel erfolgreich ist. Von Tel Aviv bis Mexiko-Stadt gibt es Ableger der Berliner Parade. Und in Berlin ist längst eine neue Love Parade gewachsen. Zu Pfingsten wird Berlin wieder mit einem kilometerlangen Zug den Karneval der Kulturen feiern, und eine Million Menschen werden auf den Straßen tanzen. Nicht zu Techno, aber zu Salsa, Tango und hundert anderen Rhythmen.

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