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Politik: Das falsche Volk

Von Stephan-Andreas Casdorff

Was für eine Woche! Eine der großen Worte, der großen (Vor-)Entscheidungen, der großen Verwirrung. Am Ende hat das geneigte Publikum den Eindruck, als sollte sich mancher unserer Politiker frei nach Brecht, den wir ja gerade feiern, wirklich besser ein anderes Volk wählen.

Sie wollen Deutschland dienen, sagt Vizekanzler Franz Müntefering, haben das auch geschworen, und deshalb muss es einen Schulterschluss mit Kanzlerin Angela Merkel geben. Gott bewahre, Politik ist keine Veranstaltung des Gesangvereins Harmonie. Auseinandersetzung – in dieser Hinsicht ein auch im Bild passendes Wort – kann weiterbringen. Und bessere Lösungen ermöglichen. Darüber sollten die Damen und Herren der (man wagt es kaum zu schreiben) politischen Klasse mal nachdenken. Dann kommen sie womöglich auf den Gedanken, dass es einen Schulterschluss mit dem Bürger-Wähler geben muss, weil das Deutschland am meisten dient.

Das Bürgertum zu quälen, die Leistungsbereiten in der „Mitte“, das Rückgrat der Gesellschaft in Deutschland, wie jeder wissen sollte, der Verantwortung dafür trägt, ist kein guter Plan. Das hat, gottlob, Kurt Beck gesehen, und die Reaktion auf den SPD-Chef, der sich jetzt den Facharbeitern, den Angestellten, den Ingenieuren, den normalen Fleißigen zuwenden will, zeigt auch, wo die Mehrheit sitzt. Nur weil der Satz „Leistung muss sich wieder lohnen“ vom anderen katholischen Pfälzer stammt, von Helmut Kohl, muss er nicht falsch sein. Dass ihn Beck übernimmt, ist für die Verhältnisse politisch klasse. Das ist Kohls Politik auf modern und auch, wenn man im Blick auf Beck so weit ausgreifen will, ein bisschen die von Bill Clinton. So kann man Wahlen gewinnen, Kanzler werden. Inhaltlich allemal, und taktisch gilt das auch.

Von wegen Schulterschluss: Die CDU taumelt im gleichen Zeitraum. Sie weiß nicht (mehr), wer sie ist und wohin sie gehen soll, und härter als die CSU jetzt mit ihrer Absetzbewegung kann man das gar nicht auf den Punkt bringen. Welche Politik mit Maß und Mitte betrieben werden könnte, hat in den vergangenen Wochen noch kein Christdemokrat richtig beschrieben, geschweige denn die Vorsitzende. Die CDU hat bisher nur Fragen präsentiert, die CSU mit, zum Beispiel, Landtagspräsident Alois Glück, die Antworten. „Solidarische Leistungsgesellschaft“ – darum geht es. Die CDU dagegen verhält sich unsolidarisch, nach innen sowieso, aber auch nach außen, zu ihren Wählern. Sie hat ihnen Lösungen versprochen, die es so gar nicht geben kann. Sie rechnen sich nicht, weder inhaltlich noch taktisch.

Ja, aber außerdem ist es noch „unfair“, sagt Müntefering, die Koalitionäre an ihren jeweiligen Wahlprogrammen zu messen. Wie bitte? Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Bei dieser Chuzpe bleibt einem die Spucke weg. Deshalb also wird die Politik nicht richtig erklärt, weder im Inneren noch im Äußeren, weder von der Kanzlerin noch von den anderen: Wir sind einfach das falsche Volk, wir verstehen nur nicht.

Doch, doch. Der Bürger-Wähler soll nichts mehr ernst nehmen von dem, was ihm gesagt wird. Das ist unfair. Die Politiker sind unfair. Vor ein paar Monaten dachten doch manche Wähler, die große Koalition stehe für große Lösungen. Dass die große Lösung die Selbstabschaffung der Volksparteien sein könnte, damit war nicht zu rechnen.

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