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„Das haben wir so nicht verabredet“: Merz nennt Vereinbarungen zu Mindestlohn und Steuersenkung „nicht fix“
Kurz vor dem Mitgliedervotum der SPD über den Koalitionsvertrag sagt der CDU-Chef: Es werde keinen „Automatismus“ für weniger Steuern oder 15 Euro Mindestlohn geben. Beides sei haushaltsabhängig.
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Union und SPD hatten sich am Mittwoch auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, die CSU hat das Papier am Donnerstag als erste Partei des geplanten neuen Regierungsbündnisses abgesegnet. Bei der SPD, die viele Inhalte der Vereinbarungen als Erfolg für sich verbuchte, wird einen Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag geben, der am Dienstag beginnt.
Kurz vor dem Mitgliedervotum zweifelt nun der vermutlich nächste Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) von den Sozialdemokraten als gesetzt angesehene Punkte an. Ein Mindestlohnanstieg auf 15 Euro im kommenden Jahr und eine Senkung der Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen seien nicht gewiss, sagte Merz der „Bild am Sonntag“.
Die Einkommenssteuer, die wollen wir senken, wenn es der öffentliche Haushalt hergibt.
Friedrich Merz, CDU-Chef
Der CDU-Chef widersprach in dem Interview Äußerungen von SPD-Chef Lars Klingbeil, wonach der Mindestlohn 2026 auf 15 Euro steigen werde. „Das haben wir so nicht verabredet“, sagte Merz. „Wir haben verabredet, dass wir davon ausgehen, dass die Mindestlohnkommission in diese Richtung denkt. Es wird keinen gesetzlichen Automatismus geben.“
Der Mindestlohn könne „bei dieser Höhe zum 01.01.2026 oder 2027 liegen“, sagte Merz. „Aber das bleibt die Aufgabe der Mindestlohnkommission, das in eigener Autonomie auch festzulegen.“ Der von der Bundesregierung auf Vorschlag der unabhängigen Kommission beschlossene Mindestlohn beträgt gegenwärtig 12,82 Euro.
Ergebnis des SPD-Votums am 30. April
Im Koalitionsvertrag heißt es zum Mindestlohn: „Wir stehen zum gesetzlichen Mindestlohn.“ Für die weitere Entwicklung dessen werde sich die Mindestlohnkommission an verschiedenen Größen orientieren. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“
Das Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums soll am 30. April bekannt gegeben werden. Für die CDU soll deren Bundesausschuss den Koalitionsvertrag am 28. April billigen.
Auch die von Union und SPD geplante Senkung der Steuer für kleine und mittlere Einkommen sei „nicht fix“, sagte Merz. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es: „Wir werden die Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken.“ Details werden aber nicht genannt. Die SPD-Forderung nach Steuererhöhungen für Gutverdienende und Reiche kommt nicht vor.
„Wir hätten das in der Koalition mit den Sozialdemokraten gerne von Anfang an verabredet. Darüber hat es einen Dissens gegeben. Deswegen haben wir es offengelassen“, so Merz.
Der CDU-Chef fügte hinzu: „Die Einkommenssteuer, die wollen wir senken, wenn es der öffentliche Haushalt hergibt.“ Die Befürchtung, dass viele Arbeitnehmer wegen steigender Sozialbeiträge und ausbleibender Steuersenkungen am Ende seiner Regierungszeit netto weniger Geld erhielten, nannte Merz „aus heutiger Sicht sicherlich nicht unberechtigt“.
Er fügte hinzu: „Aber es wird unsere Aufgabe sein, diese Befürchtung zu zerstreuen und das Richtige zu tun, damit am Ende dieser Wahlperiode die Menschen sagen: Es geht uns besser als zu Beginn.“
Einen Finanzierungsvorbehalt für alle Maßnahmen im Koalitionsvertrag haben die Verhandler von CDU, CSU und SPD darin ohnehin festgeschrieben. Bei Union und SPD gibt es allerdings unterschiedliche Interpretationen, ob das auf sämtliche Pläne zutrifft. Klingbeil sieht es so, Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) sagte hingegen, das betreffe nicht alle Vereinbarungen.
Mit der Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und einem 500 Milliarden Euro großen Sondertopf für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz hatten Union und SPD schon vor der Kanzlerwahl ein historisches Finanzpaket geschnürt.
Das bedeute aber nicht, dass „Geld für alles“ da sei, betonte Unionsfraktionsvize Jens Spahn. „Wir müssen noch sehr, sehr stark konsolidieren. Und wir müssen uns auch die Freiräume erarbeiten für die Reformen, die wir vorhaben“, sagte der CDU-Politiker der „Bild“.
SPD-General Miersch pocht auf Einkommensteuerreform
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hatte am Wochenende auf eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen zur Mitte der Legislaturperiode gepocht. „Wer hart arbeitet, soll spürbar entlastet werden“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Deshalb sei im Koalitionsvertrag vereinbart, 2027 eine Einkommensteuerreform umzusetzen.
„Natürlich steht das, wie alle Vorhaben, unter Finanzierungsvorbehalt. CDU/CSU wissen aber, wie wichtig uns dieser Punkt ist.“ Miersch betonte: „Die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen ist ein zentrales Anliegen für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.“
Woher sollen die Bürgerinnen und Bürger eigentlich noch wissen, wofür die neue Regierung steht?
Felix Banaszak, Grünen-Chef
Grünen-Chef Felix Banaszak warf den wahrscheinlichen künftigen Regierungspartnern deshalb Planlosigkeit vor. „Man muss sich ernsthaft fragen, was diese Vereinbarung eigentlich wert ist, wenn sie jeder schon für sich selbst interpretiert, bevor sie überhaupt beschlossen ist“, sagte er den Zeitungen. „Woher sollen die Bürgerinnen und Bürger eigentlich noch wissen, wofür die neue Regierung steht?“
Scharfe Kritik von Wagenknecht an Merz
BSW-Co-Parteichefin Sahra Wagenknecht sagte den Blättern, der Koalitionsvertrag sei „politischer Wackelpudding“. „Nichts ist wirklich verbindlich, kein Verlass für Bürger, keine Planungssicherheit für Unternehmen“, so Wagenknecht. „Dass Friedrich Merz jetzt ausgerechnet Maßnahmen zugunsten kleiner Einkommen infrage gestellt, überrascht nicht.“
Wagenknecht weiter: „Da alles unter Finanzierungsvorbehalt steht, hat sich Schwarz-Rot letztlich auf gar nichts geeinigt.“ Da auch die Sozialbeiträge noch weiter steigen könnten, „droht die untere Einkommenshälfte die klare Verliererin unter Schwarz-Rot zu werden“.
Wie der Tagesspiegel berichtet hatte, geht Merz davon aus, am 6. Mai zum Kanzler gewählt zu werden. Die entsprechenden Planungen im Berliner Parlaments- und Regierungsviertel haben demnach begonnen.
So empfing Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Merz sowie die SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken und Klingbeil am Freitag im Schloss Bellevue. Die Fraktionen des Bundestages könnten vor der Kanzler-Wahl bereits am 5. Mai beraten.
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