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Politik: Das neue Kanzleramt: Ansehen schadet nicht

Die Aussichten der Macht, auf der Freitreppe zum Parlament: Da liegt es nun, das Kanzleramt, riesig, ein Klotz. Eine Baustelle.

Die Aussichten der Macht, auf der Freitreppe zum Parlament: Da liegt es nun, das Kanzleramt, riesig, ein Klotz. Eine Baustelle. Eine Zurschaustellung. Ist es monströs? Oder nur erschreckend, weil in seiner Dimension ungewohnt, nach den Bonner Jahrzehnten? Der Kanzler, der jetzige, Gerhard Schröder, hat genau das beim Betrachten des Rohbaus zum Ausdruck gebracht. Da sagte er, das Amt habe eine Dimension angenommen, die dem einen oder anderen Politiker auf den Leib geschnitten sein möge. Dem anderen: Damit war natürlich Helmut Kohl gemeint, der die Entstehung begleitete, sich die Pläne genau erläutern ließ. Sein Name sollte sich ja auch mit diesem Gebäude, das er wollte, verbinden. Das entspricht seinem Verständnis von Historie, von Hinterlassenschaft. Er ist darin, bei genauem Hinsehen, nur um Grade unauffälliger als Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand, mit dem ihn in dessen späten Jahren so viel verband.

Kohl angemessen also erscheint die Proportion, im persönlichen wie im politischen. Wie manche nach dem ersten Augenblick meinten: angemessen auch der neuen deutschen, einer in den neuen Dimensionen großen Republik. Der Kanzlerbau wäre dann schlicht das passende Monument. Ein Profanbau mit Pathos. Eine kolossale Inszenierung, augenfällig unverkrampft im Umgang mit der eigenen Historie, weil in der Machtgeste unverhüllt, Stein gewordenes Selbstwertgefühl. Und damit ist alles erklärt? Alles an der Oberfläche, alles eindeutig, kein Geheimnis mehr?

Die Aussichten der Macht: jetzt vom Kanzleramt aus. Dort, im Turm der Leitung, arbeitet der Chef der Exekutive mit Blick auf den Bundestag. Auf den Reichstag und die Abgeordnetenbüros in ihrer Fülle. Und oben, in seiner Höhe, buchstäblich auf Augenhöhe. Die transparente Kuppel wird er sehen, sich daran erinnern, dass sie Einblicke ins Parlament gestattet. Kleinteiliger sind die Räume, enger, niedriger, als der Blick von außen ahnen lässt. So wird die Architektur politische Mahnung. Und sie bietet, anschaulich, wirklich am Plastischen begreiflich, Aufklärung über diese Wirklichkeit: Auch die Politik im größer gewordenen Deutschland sieht ihre Grenzen, die Spielräume. Sie ist im Innersten unverändert: schlicht Arbeit.

Das Äußere, das Gewand der Macht, das hat sich spektakulär verändert. Es wirkt wie eine Nummer zu groß und schon jetzt, in dem geringen zeitlichen Abstand zur Planung, fast zu postmodern. Als gehörte es einer vergangenen Zeit an. Die Zwänge aber sind wie in Bonn geblieben, und das ist im Angesicht der Sache logisch, banal. Einiges ist noch komplizierter geworden, weil der Umgang mit der neuen Größe noch mehr Umsicht erfordert. Wie symbolisch, dass dem Bundeskanzler da in seinem Arbeitszimmer verschiedene Sichten gestattet werden. Und dass sein Blick über den Ehrenhof hinweg geht, an den Ort, von dem er gekommen ist, der ihm diesen Blick bewilligt, vom Parlament. Das erinnert daran: Die Inszenierung ist nicht Fundament, sondern Ornament.

Die Aussichten der Macht - ja, und wo ist hier der Präsident zu finden? Weiter entfernt. Sein Amt ist vom Parlament aus zu erahnen, es wird beschirmt von Bäumen. Ein Amt, das im Verborgenen blüht; ein Amt, das in seiner äußeren Form nicht aneckt, dagegen im Inneren schon; eines, das sich nicht aufdrängt, jedenfalls der Teil, der nicht Schloss, sondern Moderne ist. So gesehen ist die Wahrnehmung politisch: Unser Präsident wohnt im Schloss.

Das alles verknüpfende "Band des Bundes" wird so wie geplant wohl nie verwirklicht. Nicht offiziell. Dabei gehörte zu diesem Band auch ein "Bürgerforum", gedacht als architektonische Verbindung zwischen Regierenden und Regierten. Die Regierenden kümmern sich darum nicht - dann müssen es eben die Regierten tun und sich den Platz zwischen Legislative und Exekutive zu eigen machen. "Dem deutschen Volke" lautet die Inschrift an dem Ort, von dem alles ausgeht. Die Schrift ist überholt, der Anspruch modern. Wer zurückkehrt zur Treppe des Parlaments und von dort den Blick schweifen lässt, gewinnt seine eigene Sicht auf die Macht. Die Sicht des Souveräns. Und wer souverän ist, für den hat auch dieses Kanzleramt vielleicht doch keine monströse Dimension.

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