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Liebe kann man ebenso wenig verordnen wie Empathie. Zuviel Emotionalisierung tut der Politik ohnehin nicht gut.

© imago/Müller-Stauffenberg

Das neue Zauberwort für die Politik: Empathie macht die Welt nicht unbedingt besser

Wird sie eingefordert, erzeugt sie emotionale Gegenwehr. Daher ist sie kein Allheilmittel für polarisierte Gesellschaften. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Max Tholl

Gute Politik ist viel, aber selten emotionsgetrieben. Vielmehr sollen Gesellschaft und Politik doch auf rationalem Diskurs, gegenseitigem Respekt und Gerechtigkeitsprinzipien basieren und sich an diesen orientieren. Schließlich führt die politische Emotionalisierung der Gesellschaft doch nur zu Populismus, der eben nicht auf Wahrheit und Respekt, sondern auf Gefühle setzt und Ressentiments verankert. Man sollte also denken, Emotionen als Leitprinzip gehörten in den Giftschrank.

Doch stattdessen wird die Empathie – also der Wille und das Vermögen, sich in die Emotionen anderer hineinzufühlen – derzeit als Allheilmittel gefeiert, mit dessen Hilfe sich alle Grabenkämpfe überwinden ließen. Nicht weniger Emotionen, sondern mehr davon, sogar über den eigenen Gefühlshaushalt hinaus.
In den coronagebeutelten USA präsentiert sich der demokratische Spitzenkandidat Joe Biden derzeit als empathischer Gegenentwurf zum egomanischen Präsidenten und hofft mit seiner Botschaft der Nächstenliebe und des Mitgefühls, die Wahl für sich zu entscheiden. Auch hierzulande war die Hoffnung groß, dass die Herausforderungen der Pandemie zu einer empathischeren Gesellschaft führen würden, dass uns die emotionale Nähe trotz körperlicher Distanz längerfristig zusammenrücken lässt.

Die Vielzahl der Maskenverweigerer und Coronaleugner spricht eine andere Sprache – und nicht nur sie zeigt: Wo empathisches Handeln gefordert wird, setzt oft ein egoistischer Gegenwehrreflex ein. So wird Empathie nicht zum gesellschaftlichen Kitt, sondern zum Spalter.

Empathie heißt auch Ringen mit eigenen Überzeugungen

Unsere Gesellschaften sind nicht empathieunfähig, vielmehr entpuppt sich Empathie als kontraproduktive Konsensstrategie. Empathie heißt mehr als nur Mitgefühl, es ist auch das Ringen mit den eigenen Überzeugungen und Partikularinteressen. Das wird besonders deutlich in den Debatten um Politische Korrektheit und Cancel Culture: Die Verve, mit der hier gestritten wird, zeigt, wie weit wir von einer wahrlich empathischen Gesellschaft entfernt sind, in der Befindlichkeiten von Minderheiten nicht mehr pauschal als überzogene Moralhysterie stigmatisiert würden.

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Wenn Kritiker der Cancel Culture mehr Empathie mit Personen fordern, die ihre vermeintlich absolute Meinungsfreiheit ausüben, als mit jenen, die nach eigenen Angaben darunter leiden, zeigt das, wie selektiv und volatil der Begriff Empathie ist.

Nicht umsonst erklärte der Moralphilosoph David Lauer die Empathie im „Deutschlandfunk“ zu einer „überschätzten Fähigkeit“, die „keine zuverlässige Basis für moralische Entscheidungen“ sei, da Moral notwendigerweise einen unparteilichen Standpunkt erfordere. Diesen einzunehmen ist in Zeiten digitaler Filterblasen schwierig geworden.

Ohnehin belegen Studien, dass Empathie nur sehr begrenzt wirksam ist: da, wo sie unseren eigenen Gefühlen und Überzeugungen am nächsten steht. Die Forderung nach Empathie fördert eben nicht nur das Gute im Menschen, sondern mitunter auch Feindseligkeiten gegenüber denen, die anders sind oder denken. Kritiker der Empathie wie der US-Psychologe Paul Bloom fordern daher Vernunft, Mitgefühl oder Respekt als alternative Leitmaxime des gesellschaftlichen Umgangs. Es sind Minimalforderungen, aber selbst sie sind tägliche Herausforderungen. Traurig eigentlich, dass gerade die Empathie, die humanste aller Fähigkeiten, so oft am eigenen Menschenbild scheitert.

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