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Politik: Das Obskure und die Angst

Von Gerd Nowakowski

Tom Cruise und John Travolta werden verfolgt, jedenfalls in Deutschland: Wenn die US-Regierung ihren jährlichen Bericht zur weltweiten Lage der Menschenrechte veröffentlicht, sitzt stets die Bundesrepublik auf der Anklagebank – weil sie angeblich Scientology diskriminiert. Derzeit könnte sich die Organisation, die in den USA als normale Religionsgemeinschaft gilt, wieder ungerecht behandelt fühlen. Seitdem bekannt wurde, dass Scientology in Berlin demnächst sechs Stockwerke im Stadtzentrum beziehen, wird heftig diskutiert. Haben wir Grund, uns zu fürchten?

Ein Vergleich soll das Urteil schärfen: Im Berliner Ortsteil Pankow wurde gerade der Grundstein für die erste Moschee in Ostdeutschland gelegt. Monatelang haben Anwohner gegen das Bauvorhaben protestiert; auch die NPD hat dort im Trüben gefischt. Die Ahmadiyya-Gemeinde ist seit langem in Berlin ansässig. Sie ist wohl sehr konservativ, aber nie als radikal aufgefallen. Kein Grund, sich zu fürchten?

Rein in die Gesellschaft – das ist eine Forderung der deutschen Mehrheitsgesellschaft an die islamischen Gemeinschaften. Wer nicht mehr versteckt in Hinterhöfen eine Moschee betreibt, sondern sichtbar an der Straßenfront, der ist Teil eines gesellschaftlichen Diskurses. Extremismus und Feindschaft gegen die abendländische Kultur wachsen nur im Verborgenen. Wer die Aufforderung zur Integration ernst meint, muss auch Minarette in der Nachbarschaft akzeptieren – sofern das Baurecht es zulässt.

Ähnlicher Fall, unterschiedliche Reaktionen? Die Ahmadiyya-Gemeinde wird vom Verfassungsschutz nicht beobachtet, wohl aber Scientology in mehreren Bundesländern und vom Bundesinnenministerium. Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet die Sekte dagegen nicht mehr – nachdem Scientology erfolgreich vor Gericht zog. Eine Fehleinschätzung? Natürlich gibt es Unterschiede. Der Islam ist eine Weltreligion; Scientology eine obskure Gemeinschaft mit einem unappetitlichen Gebräu aus Fanatismus, Abhängigkeiten und Profitstreben. Ihr wird vorgeworfen, Mitglieder zu indoktrinieren und gefügig zu machen; wer aussteigen will, wird unter Druck gesetzt. Penetrante Belehrungslyrik der unangenehmen Art muss der ertragen, der mit Scientology-Funktionären zu tun hat. Aber ist das nun gefährlich für eine Demokratie?

Sekten gibt es in der Millionenstadt Berlin mehr als genug. Und unter dem Mantel der katholischen Amtskirche sind extreme Gruppierungen wie Opus Dei aktiv. An ein Verbot denkt niemand. Auch die Zeugen Jehovas haben äußerst strenge Verhaltensregeln. Dennoch haben sie es in Berlin geschafft, sich den Status einer Religionsgemeinschaft zu erstreiten – und in der Öffentlichkeit werden sie belächelt. Wer sich mit den Zeugen Jehovas einlässt, ist selber schuld. Das hält eine liberale Gesellschaft aus, dass muss sie aushalten.

Woher die Angst also vor den Scientologen? Weil sie anders ist als andere Sekten. Die Organisation betreibt aggressive Missionierungsarbeit, sie ist ideenreich, hat sehr viel Geld. Und sie ist bekannt dafür, gegen Kritiker mit aller Macht, auch juristisch, vorzugehen. Trotzdem kann von einer schleichenden Unterwanderung der deutschen Gesellschaft nicht die Rede sein. In den vergangenen Jahren sind die Scientologen vielmehr in der Versenkung verschwunden – auch wegen der vielen Berichte über ihre Umtriebe.

Werte schärfen sich in der täglichen Auseinandersetzung. Das gilt für die Debatte mit Muslimen wie für den Streit mit Scientology. Wer sich wie die Scientologen sechs Stockwerke hoch ins Stadtzentrum drängt, kann sich nicht mehr verstecken. Es gibt genügend Informationen über Scientology, damit mündige Bürger entscheiden können. Die paar hundert Anhänger in Berlin oder ein Missionszelt sind zu ertragen. Wenn etwa Schulkinder indoktriniert werden sollen durch einen von Scientology angebotenen Nachhilfeunterricht, dann muss der Staat die Schwachen schützen. Ansonsten aber ist Öffentlichkeit die schärfste Wehr der Demokratie. Gegen Scientology und andere Sekten. Nicht mehr, nicht weniger.

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