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Politik: Das Risiko, Jude zu sein

ANTISEMITISMUS

Von Frank Jansen

Es gehört zum Alltag in Deutschland, dass Synagogen von Polizisten mit Maschinenpistolen bewacht werden müssen. Und prominente Juden besonderen Schutz benötigen. Dass ein Teil der Jugend die Musik kahlköpfiger Bands konsumiert, die in ihren Texten gegen Juden hetzen. Unter jungen Muslimen scheint es zum guten Ton zu gehören, Hass auf „die Juden“ zu äußern. Und sich zu freuen über Selbstmordanschläge extremistischer Palästinenser mit hohen Opferzahlen unter israelischen Zivilisten. Jahr für Jahr werfen meist unbekannt bleibende Friedhofsschänder jüdische Grabsteine um oder beschmieren sie mit Nazi-Symbolen. Zum Alltag der Juden in Deutschland gehört die Angst.

In dieser Woche werden in Berlin Politiker, Publizisten und Wissenschaftler bei Konferenzen der OSZE und der Nicht-Regierungsorganisationen über den Antisemitismus beraten. Auch in Frankreich und anderen Ländern werden Juden, ihre Gebetshäuser und Geschäfte attackiert. Der Hass tritt wellenförmig auf, derzeit scheint er in Europa etwas abzuflauen. Dennoch sind die Konferenzen überfällig: als Signal des Widerstands gegen den Hass auf Juden und die Gewöhnung daran. Wie stark der Impuls sein wird, hängt auch vom Verlauf der Konferenzen ab. Wird es gelingen, die Vielschichtigkeit der Bedrohung und die daraus resultierende Einzigartigkeit des Antisemitismus zu verdeutlichen? Kein anderes Volk ist in den letzten 2000 Jahren derart diskriminiert, verfolgt und mit Pogromen überzogen worden. Selbst nach dem Holocaust, dem bis heute unfassbaren Vernichtungswahn der Nazis, ist der Antisemitismus nicht weltweit geächtet. Die Koalition der Ressentiment-Verfechter ist außergewöhnlich breit und hartnäckig, ihre Allianz reicht von Rechtsextremisten, Rechtspopulisten und linken Antizionisten über Islamisten sowie ihre Terroristen bis hin zu muslimischen Staatsoberhäuptern – und schließt viele „normale“ Bürger ein, die privat und halblaut „den Juden“ geldgieriges Weltmachtstreben unterstellen.

Das globale Bündnis der Unbelehrbaren glaubt, es habe ein ganz aktuelles Argument. Die harte Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern wird als „Beweis“ angeführt für Behauptungen wie diese: „Die Juden“ wollten mit „den Amerikanern“ den Nahen Osten beherrschen. „Die Juden“ oder „die Israelis“ agierten wie die Nazis. Linke Friedensfreunde haben Scharon mit Hitler verglichen, zum Beispiel bei der großen Berliner Demonstration vor dem Irakkrieg. En passant werden damit das NS-Regime und der Völkermord an den Juden verharmlost.

Kritik an der Politik der israelischen Regierung ist notwendig, wie bei jeder anderen Regierung auch. Doch die Argumente sind nur so weit legitim, wie sie antisemitische Stereotypen meiden. Kein noch so harter Schlag des israelischen Militärs rechtfertigt auch nur eine antisemitische Andeutung. Demokraten dürfen sich da keine falsche Toleranz erlauben. Die Affäre um die antijüdischen Attacken Jürgen Möllemanns, vor allem aber das lange Zaudern der FDP-Spitze, hat die Sorge geweckt, in Deutschland könnte der Antisemitismus eine politische Aufwertung erfahren.

Die Antisemitismus-Konferenzen sind auch eine Aufforderung an die Gastgeber, die Stärke der eigenen Abwehrkraft gegen den Antisemitismus zu prüfen. Laut Umfragen hegen 15 bis 20 Prozent der Deutschen latent oder sogar explizit Ressentiments gegen Juden. Hinzu kommt die offene Feindschaft in der wachsenden Gruppe muslimischer Zuwanderer. Ein Alltag ohne Angst ist für die jüdischen Gemeinden wohl noch lange eine Illusion.

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