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Politik: Das Stufenmodell des SPD-Fraktionschefs Peter Struck stößt in den eigenen Reihen auf heftige Kritik

Ganz abrücken von seinen neuen radikalen Vorschlägen zur Reform des deutschen Steuerrechts mag SPD-Fraktionschef Peter Struck nicht. Unter Steuerexperten sei es schließlich "Allgemeingut", dass die Steuersätze deutlich gesenkt werden müssten, sagt er und verteidigt seine Idee, für die er am Wochenende heftige innerparteiliche Kritik erntete.

Ganz abrücken von seinen neuen radikalen Vorschlägen zur Reform des deutschen Steuerrechts mag SPD-Fraktionschef Peter Struck nicht. Unter Steuerexperten sei es schließlich "Allgemeingut", dass die Steuersätze deutlich gesenkt werden müssten, sagt er und verteidigt seine Idee, für die er am Wochenende heftige innerparteiliche Kritik erntete. Da hatte er öffentlich gefordert: "Wir brauchen ein ganz einfaches System mit höchstens drei Steuersätzen: 15, 25 und 35 Prozent - und dann Schluss. Aus dem Munde eines Sozialdemokraten klang das wie eine Sensation. Bislang hörte man solche Ideen allein vom finanzpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion, Hermann Otto Solms, und seinen Parteifreunden. Struck ganz kühl dazu: "Was die FDP da vorschlägt, ist doch völlig richtig." Außerdem, sagte er heute, habe er immer schon so gedacht. Und: "Ich sehe schon eine Chance, dafür eine Mehrheit in der SPD zu bekommen."

In SPD-Kreisen hieß es am Mittwoch, Struck habe seinen Vorstoß, künftig nur noch drei Steuersätze in Höhe von 15, 25 und 35 Prozent zu erheben, mit Rückendeckung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel unternommen. Es habe ein Signal gesetzt werden sollen, dass die Bundesregierung die Steuersätze senken und vereinfachen wolle. Die genaue Ausgestaltung stehe jedoch noch nicht fest. Struck wies das am Mittwoch abend vor Journalisten in Berlin zurück. "Ein Fraktionsvorsitzender muß sich nicht alles vom Bundeskanzler absegnen lassen", sagte er. Einen zornigen Anruf des Kanzlers aus dessen Italienurlaub hat Struck nach eigenem Bekunden jedenfalls nicht erhalten. Überrascht über den Vorstoß war gerhard Schröder also offenkundig nicht.

Strucks Stellvertreter im Vorsitz der Bundestagsfraktion, der Finanzeperte Joachim Poß, fand allerdings nicht gut, dass sein Chef das alte Steuerkonzept der FDP nun zu einem sozialdemokartischen Herzenanliegen macht. Poß, an dem bei finanzpolitischen Fragen in der Fraktion kaum jemand vorbei kommt, fand ungewohnt harsche Worte der Kritik: "Ich halte es für fatal, wenn ausgerechnet die SPD jetzt eine Diskussion über unser Steuersystem vom Zaun bricht und dabei noch auf neoliberale Modelle zurückgreift, die längst ad absurdum geführt wurden", sagte er. Und Poß erinnerte an die Beschlusslage der Sozialdemokraten zur Steuerpolitik. Danach soll sich die Besteuerung an der individuellen Leistungsfähigkeit bemessen. Strucks Modell würde das "vorsichtig gesagt stark einschränken", meinte er. Außerdem hält Poß den Vorschlag nicht für finanzierbar, weil er zu Steuerausfällen von rund 100 Milliarden Mark führen würde. Nicht nur aus der Fraktion, auch aus der Partei erntete Struck Kritik für seinen überraschenden Vorstoß in der Sommerpause. SPD-Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner stellte fest, er sehe "keinen Sinn für eine völlig neue Steuerdebatte".

"Mir scheinen diese Reaktionen eher Pawlowsche Refelxe zu sein", entgegnet Struck. Nur weil die FDP etwas mal gesagt habe, müsse das nicht gleich abgelehnt werden. Heute zahle ein Millionär trotz des nominell hohen Steuersatzes im Schnitt nur 33 Prozent Steuern: "Da ist es doch vernünftig, die Sätze zu senken und den Abschreibungsdschungel zu lichten, damit ein Höchststuersatz von 35 oder 40 Prozent auch wirklich gezahlt wird", verteidigt Struck sein Modell. Wegen der Lage der öffentlichen Finanzen sei eine solche Reform in dieser Wahlperiode ohnehin nicht mehr zu machen. Und nach 2002? "Dass man den Wurf versuchen soll, steht für mich außer Frage", sagt Struck.

Jetzt, da ist sich Struck mit Poß und den anderen Kritikern einig, müssten erst einmal die nach der Regierungsübernahme beschlossenen Steuerentlastungen für Arbeitnehmer vertreten werden. Die hatte noch der Vorgänger von Hans Eichel, Oskar Lafontaine, auf den Weg gebracht. Auch Eichel, mit dem sich Struck angeblich abgesprochen hat, ließ Hoffnungen auf weitere Steuersenkungen über die bekannten Gesetzespläne für Familien- und Unternehmensentlastungen hinaus umgehend gedämpft. Er verwies darauf, "dass die Haushaltskonsolidierung Vorrang hat". Erst dann müsse sich zeigen, welchen Spielraum es für weitere Steuersenkungen gebe, sagte eine Sprecherin seines Ministeriums und verwies auf rund 150 Milliarden Mark Etatkürzungen binnen vier Jahren. "Jetzt schauen wir zunächst auf die Umsetzung der bereits beschlossenen dreistufigen Steuerreform mit einer Senkung des privaten Höchststeuersatzes von 53 auf 48,5 Prozent im Jahr 2002", sagte sie.

Auch in der SPD-Fraktion wird darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung erst vor wenigen Monaten das dreistufige Steuerentlastungsgesetz 1999/2002/2002 in Kraft gesetzt hat. Es entlastet in erster Linie Haushalte mit geringen Einkommen und Familien. Der Spitzensteuersatz sinkt dabei erst ab Anfang 2000 von derzeit 53 auf 51 Prozent und ab 1. Januar 2002 auf 48,5 Prozent. Der Eingangssteuersatz ist in der ersten Stufe von 25,9 auf 23,9 Prozent gesenkt worden. 2002 soll er bei 19,9 Prozent liegen. Außerdem wurde das Kindergeld für das erste und zweite Kind um je 30 Mark monatlich erhöht. Eine spürbare Nettoentlastung kommt erst 2002 richtig zum Tragen - 15 Milliarden Mark soll sie betragen. "Mehr können die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden nicht verkraften", hatte der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine gesagt, als er sein Gesetz im Bundesrat verteidigte. Zu einer stärkeren Entlastung mochte sich die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion bislang auch nicht durchringen. Sie hat noch die Worte im Ohr, mit denen Lafontaine seine Reform angepriesen hatte: Sie entlaste die Schwachen. Und "sie ist fiskalisch verkraftbar".

Korrektur vom 5.8.1999 Der Tagesspiegel hat in diesem Bericht einen Fehler gemacht. Ein Stufentarif in der Einkommensteuer führt keineswegs zu Sprüngen in der Belastung. Wird ein Einkommen von 19 999 Mark mit 15 Prozent besteuert, sind das rund 3000 Mark. Gilt für Einkommen über 20 000 Mark ein Satz von 25 Prozent, so ist davon nur der Teil des Einkommens über dieser Grenze betroffen. Bei 20 001 Mark Einkommen heißt das: 15 Prozent für den Anteil bis 20 000 Mark, 25 Prozent für die Mark darüber ­ mithin immer noch rund 3000 Mark und nicht, wie irrtümlich errechnet, 5000 Mark. Wir bitten um Entschuldigung.

Carsten Germis

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