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Politik: „Das war für uns ein Schock“

SPD-Vorstandsmitglied Annen über offene Fragen nach der Bundestagswahl, den Verlust der Mehrheit links der Mitte und die künftige Strategie.

Herr Annen, die SPD sondiert gerade, ob sie mit der Union eine Regierung bilden will. Hat Ihre Partei das Wahlergebnis vom 22. September schon verarbeitet?

Nein. Das dauert auch. Wir brauchen eine offene, tief gehende Analyse. Es geht nicht nur um die Wahl von 2013, sondern auch um die von 2009. Zwei Mal hintereinander sind wir auf dramatische Weise hinter unseren eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Wir sind mit dem Anspruch angetreten, den Kanzler zu stellen. Diesen Anspruch kann man mit 25,7 Prozent nicht stellen.

Hat das allein die Selbstgewissheit der SPD erschüttert?

Wenn man genauer hinsieht, ist der Befund noch dramatischer. Addiert man die Stimmen für die FDP und für die Alternative für Deutschland, die wegen der Fünf-Prozent-Hürde nicht im Bundestag vertreten sind, zu denen der Union hinzu, so hat das rechte Lager eine Mehrheit von mehr als 50 Prozent. Es gibt in Deutschland keine Mitte-Links-Mehrheit. Das muss und darf nicht so bleiben, aber im Moment ist das so.

Lag es am Wahlprogramm?

Definitiv nicht. Das Bedrückende ist, dass wir mit unseren Themen viel Zustimmung gefunden haben. Die Mehrheit ist für den gesetzlichen Mindestlohn, die Mietpreisbremse, eine gerechtere Steuerpolitik und für mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Es gibt bei unserer Stammwählerschaft immer noch eine tiefe Verunsicherung nach dem Motto: Meint die SPD es wirklich ernst, können wir dieser Partei vertrauen? Wir haben ein bisschen Boden gutgemacht. Aber womöglich war es eine unlösbare Aufgabe, in wenigen Jahren Vertrauen zurückzugewinnen, das zuvor über Jahre hinweg verloren gegangen war.

Wodurch ging das Vertrauen verloren?

Das spielen viele Dinge eine Rolle. Etwa die Mehrwertsteuererhöhung oder die Anpassung des Renteneintrittsalters in der großen Koalition, sicher auch manche Arbeitsmarktreform aus der Zeit davor. Es braucht Zeit, bis unsere neuen Antworten durchdringen. Die SPD hat in den vergangenen vier Jahren die Politik moderat korrigiert, ohne dass die Partei sich darüber zerstritten hätte. Vielleicht müssen wir uns auch darüber Gedanken machen, wer unsere Politik glaubwürdig verkörpert.

Hat das Peer Steinbrück nicht getan?

Doch, klar. Peer Steinbrück hat vor allem in den letzten Wochen des Wahlkampfes einen enormen Einsatz gezeigt und ganz wesentlich dazu beigetragen, dass wir diesen moderaten Zuwachs holen konnten. Über die gesamte Strecke haben wir aber viel zu wenig über politische Lösungen geredet. Auch die Konstruktion der Troika hat unsere Anhänger und die Medien monatelang beschäftigt. Wir hätten diese Zeit wohl besser nutzen sollen, um über unsere politischen Vorschläge zu sprechen.

Faktisch haben drei SPD-Männer über den Spitzenkandidaten entschieden. Sollte das künftig anders laufen?

Eine Mitgliederbefragung kann ein guter Weg sein, um Spitzenkandidaten auszuwählen. Die SPD hat sehr gute Erfahrungen mit diesem Instrument gesammelt, denken Sie an die Ministerpräsidenten Torsten Albig (Schleswig-Holstein) und Stephan Weil (Niedersachsen).

Warum hat die SPD bei Frauen so schlecht abgeschnitten?

Die CDU hat 44 Prozent der Wählerinnen überzeugt, das war für uns ein Schock, das ist ein niederschmetterndes Ergebnis. Wir haben im Osten massiv verloren. Sicher hat es eine Rolle gespielt, dass Deutschland seit acht Jahren von einer Frau regiert wird.

Also mehr Frauen und mehr Vertreter aus den neuen Ländern in die Parteispitze?

Wir haben in der Bundestagsfraktion mit mehr als 40 Prozent nun eine Rekordzahl von weiblichen Abgeordneten. Sie müssen sich nun auch in Spitzenpositionen wiederfinden. Aber wir werden auch programmatisch in der Frauen- und Familienpolitik nachlegen müssen.

Niels Annen (40) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus Hamburg-Eimsbüttel. Mit dem Parteilinken und früherem Juso-Chef sprachen Hans Monath und Antje Sirleschtov.

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